le roi zu rufen. Das Erstaunlichste aber erlebte ich gestern.
Das Gerücht von der Ankunft Lafayettes hatte sich verbreitet. In Versailles wußte freilich niemand davon, als die Pariser Straßenjungen sich schon im “vive Lafayette“ übten. Ich hielt mich von früh an im Palais-Royal auf, wo die Arkaden, die der Herzog zum Ersatz der verschwundenen großen Allee bauen ließ, der Vollendung entgegengehen und der Sammelpunkt geistigen Lebens zu werden scheinen. Man sprach voll Begeisterung von dem erwarteten Helden, von der endgültigen Befreiung Amerikas, von dem großen, ausschlaggebenden Sieg bei Yorktown.
„Ein Fanal der Freiheit war der Brand der Stadt!“ schrie Einer, der dabei gewesen sein wollte. „ Bald brennt es auch bei uns!„ rief ein Andrer. „Und mit den Feudalrechten und den Steueredikten schüren wir den Scheiterhaufen der Monarchie“, frohlockte ein Dritter, – ein buckliger Mensch mit dem ausgemergelten Gesicht eines Savanarola. Alles applaudierte.
Der Ruf „Lafayette!“ der irgendwo von oben zu kommen schien, übertönte den Lärm. Einen Augenblick tiefen Schweigens – –, dann wälzte sich die Menge einmütig dem Eingang zu, und schon in der nächsten Minute sah ich einen Mann in Uniform, von starken Armen getragen, hoch über ihren Köpfen schweben. Hüte flogen in
Lily Braun: Die Liebesbriefe der Marquise. München 1912, Seite 294. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Liebesbriefe_der_Marquise_(Braun).djvu/300&oldid=- (Version vom 31.7.2018)