Aber die Weltgeschichte – hören Sie selbst:
Herr von Voltaire fühlte sich leidend –, sei es, daß er zu viel vom Champagner der Huldigungen getrunken hatte oder zu wenig, denn die Flasche aus den königlichen Kellern fehlte noch! – Man schickte ihm den Arzt, aber er verlangte nach – dem Priester. Der Abbé Gauthier kam in fliegender Eile; es galt einen fetten Bissen für die Kirche! In einem Schlafgemach, das mehr dem Tempel der Wollust als dem Heiligtum der Musen glich, – Herr von Villette, Voltaires Freund und Gastgeber, huldigt wie die Weisen Griechenlands dem Kultus jener Liebe, die unsere christliche Moral zwar verdammt, unsere antike Bildung aber großzüchtet –, nahm er die Beichte des Ketzers entgegen. Wäre der Kranke gleich danach gestorben, sein letztes Wort würde nicht, wie wir großen Dichter es auf der Bühne wirkungsvoll arrangiert haben würden, „écrasez l'infâme“ gewesen sein, sondern: „ich sterbe in der heiligen katholischen Religion …“
Daß der König ihn trotz dieses reumütigen Bekenntnisses nicht empfing, als er wieder genesen war, hat Herrn von Voltaire sehr gekränkt!
Aber unsere große Pantomime hatte noch mehr Mitwirkende, denken Sie. Das Alter hinderte den Patriarchen, die Rolle des Helden bis zu Ende zu spielen, das Schwert wurde ihm zu schwer. Die, die ihm zujubelten, nahmen es auf.
Lily Braun: Die Liebesbriefe der Marquise. München 1912, Seite 222. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Liebesbriefe_der_Marquise_(Braun).djvu/228&oldid=- (Version vom 31.7.2018)