Sie sind weiterhin so gnädig, an meinen Interessen
und Plänen insoweit Anteil zu nehmen, als
sie Ihnen „gefährlich“ und „abenteuerlich“ erscheinen.
Zu Ihrer Beruhigung sei Ihnen von vornherein
versichert, daß es nicht „Herzensenttäuschungen“
sind, die den Wunsch in mir entstehen
ließen, Frankreich den Rücken zu kehren. Es
mag die Art der Frauen sein, ihre Überzeugungen
und Interessen nach der Wetterfahne ihrer Gefühle
zu drehen, die der Männer ist es nicht.
Meine Abneigung gegen die Hohlheit des Hoflebens, gegen meine eigene tatenlose Existenz wären schon Grund genug, eine andere Lebenssphäre sehnsüchtig zu suchen. Viel ausschlaggebender aber ist für mich der Einblick in die Tatsache geworden, daß alle Systeme und Ideen unserer Denker und Dichter, für die ich mich einst begeisterte, – ich würde an dieser Stelle gern „wir“ gesagt haben, Frau Marquise, wenn ich nicht wüßte, daß Sie jene Stunden in Etupes längst vergessen haben, – nichts als Phrasen blieben, hohlere noch, als die der Priester, deren Versprechungen sich nur auf den Himmel beziehen, also völlig unkontrollierbar sind.
In Amerika sehe ich ein Volk, das um seine Freiheit kämpft, statt nur über sie zu reden. Dort würde ich also erfahren können, ob sie ein Gut ist, für das es sich lohnt, Kraft und Leben einzusetzen.
Lily Braun: Die Liebesbriefe der Marquise. München 1912, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Liebesbriefe_der_Marquise_(Braun).djvu/152&oldid=- (Version vom 31.7.2018)