vermocht, aber als Sie mitten im Gewirr französischer
Konversation gütig lächelnd die ersten
deutschen Worte an mich richteten, da stand ich
nicht nur ganz in Ihrem Bann, sondern ich wußte
auch, daß Sie den Dichter verstehen, mit seinem
Werther weinen würden.
Ich wage nicht, es Ihnen selbst zu überbringen. Ich fürchte, zudringlich zu erscheinen. Ich fürchte noch mehr, mich in ein Gefühl zu verstricken, das dem Franzosen ein Spiel, dem Deutschen aber ein Schicksal ist.
Zürnende Göttin – darf ein armer Sterblicher voller Zerknirschung Ihrem Throne nahen? Sie waren verschwenderich in Ihren Gnaden, wie es einer Olympierin zukommt; vom Marschall bis zum kleinen deutschen Offizier rühmt sich ein jeder, Sie anbeten zu dürfen. Ich allein stehe vor verschlossenen Tempeltüren. Sie verweigerten mir sogar im Menuett Ihre Hand, auf der ich eben noch die Lippen des Herrn von Contades selbstvergessen hatte ruhen sehen.
Ich vermutete in Ihrem Benehmen zunächst nichts anderes, als das Raffinement einer Frau, der die Langeweile der Ehe zur Schule der Koketterie geworden ist, und ich fühlte mich fast geschmeichelt.
Nun bin ich aufgeklärt: die kleine Guimard,
Lily Braun: Die Liebesbriefe der Marquise. München 1912, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Liebesbriefe_der_Marquise_(Braun).djvu/118&oldid=- (Version vom 31.7.2018)