mich zu entsinnen, daß es Frauen gibt, die nicht jung sind. Mit den weißgepuderten Haaren scheinen sie sogar keck des Alters zu spotten, das sie nicht mehr überwältigen kann, und sein äußeres Wahrzeichen zu benützen, um den Reiz ihrer ewigen Jugend zu erhöhen. Was für die Herzogin von Lavallière gedichtet wurde, das gilt für alle:
La nature prudente et sage
Force le temps de respecter
Les charmes de ce beau visage,
Qu'elle n' aurait pu répéter.
Ach, und ihr Tanz! Wissen Sie noch, wie der Wind in Etupes über die Tulpenbeete strich? Solch ein Neigen und Wiegen, solch ein Aufglühen und Verlöschen leuchtender Farben ist er! Das Schönste schien er mir zu sein, was ich bisher gesehen hatte, bis ich noch Schöneres sah. Als sich vor mir zum erstenmal die Vorhänge der Oper teilten, und ich die entzückendste aller Sylphiden, Fräulein Guimard, aus dem weißen Wolkenbett zur Erde schweben sah, wo der große Vestris sich ihr entgegenhob, als gäbe es keine Schwere für ihn, da erkannte ich erst, daß die Tulpen noch an der Erde kleben, und die Schmetterlinge, die über Rosenhecken gaukeln, die wirklich Lebendigen sind.
An Pracht, so glaubte ich, könnte dieses Schauspiel von keinem anderen übertroffen werden. Dann kam ich nach Versailles zum Ordensfest Ludwigs
Lily Braun: Die Liebesbriefe der Marquise. München 1912, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Liebesbriefe_der_Marquise_(Braun).djvu/037&oldid=- (Version vom 31.7.2018)