„Kurz vor ihrem Tode“, – so erzählte die Gräfin Laval –, „hatte sie noch sorgfältig Toilette gemacht. Mir schien, als hätte sie sogar ein wenig Rot auf ihre Wangen gelegt, und ihre immer noch schönen schwarzen Augen ganz, ganz zart unterstrichen. ‚Mein letzter Gast‘, sagte sie lächelnd, ‚soll sich über einen Mangel guter Lebensart nicht zu beklagen haben.“
Ihre Enkelkinder erbten das alte Schloß, aus dem alles Leben gewichen schien, und die langen Schnüre von Perlen, die aus Sehnsucht nach dem blendenden Nacken und den weißen Armen der Herrin all ihren Glanz verloren hatten. Die Gräfin Laval, ihre Nichte, nahm nur ein Päckchen vergilbter Briefe mit nach Haus. Sie waren mehr wert, als ihre toten Schätze, denn in ihnen klopfte das Herz der Marquise.
Lily Braun: Die Liebesbriefe der Marquise. München 1912, Seite XII. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Liebesbriefe_der_Marquise_(Braun).djvu/006&oldid=- (Version vom 31.7.2018)