Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses. | |
|
Mitte März war die Untersuchung im wesentlichen abgeschlossen. Blieb noch die Frage meiner Zurechnungsfähigkeit. Diese sollte, wie üblich, durch einen sechswöchigen Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik geklärt werden, und zwar war dazu diejenige des Professors Hoche in Freiburg ausersehen.
Der Professor stattete mir in Karlsruhe einen kurzen Besuch ab. Das war nun freilich ein anderer Typ als der Bezirksarzt. Ein bedeutender Gelehrter, mit weltmännischen Allüren. Von einer großen Sicherheit des Auftretens. Während er in ungezwungener und überlegener Weise die Unterhaltung führte, beobachtete er mich genau, die blauen Augen hinter der goldenen Brille waren von einer rücksichtslosen Eindringlichkeit. Kein angenehmes Gefühl, so als Objekt wissenschaftlicher Untersuchung dienen zu müssen.
Dieser Mann sollte feststellen, ob ich am 6. November im vollen Besitz meiner Geisteskräfte gewesen und also für die Tat – falls ich sie begangen – verantwortlich war. Wie konnte er das feststellen? Untersuchung – Beobachtung – Studien der Akten – genügte das, sich ein Urteil zu bilden?
Es war mir natürlich bekannt, daß mein Verteidiger seine einzige Hoffnung auf das psychiatrische Gutachten setzte. Sah er doch überhaupt keine andere Möglichkeit der Verteidigung, als auf geminderte Zurechnungsfähigkeit zu plädieren. Und daß ich geistig nicht normal sei, war für ihn außer Zweifel. In dieser Richtung hatten sich bisher alle seine Schriftsätze bewegt.
Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses.. Ullstein, Berlin 1925, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Das_Todesurteil_(Hau).djvu/76&oldid=- (Version vom 31.7.2018)