Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses. | |
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„An welcher Stelle der Allee haben Sie die Droschke bestiegen?“
„Beim Alleehaus. Da, wo die Bismarckstraße einmündet.“
„Haben Sie den Schuß gehört?“
„Nein.“
„Sie sagen, Sie hätten zu Ihrer Schwägerin eine leidenschaftliche Zuneigung empfunden. Wurde dieselbe erwidert? Und werden Sie jetzt Ihre frühere Aussage, daß die Beziehungen zwischen Ihnen und der Dame immer korrekt gewesen seien, widerrufen?“
„Im Gegenteil, ich wiederhole dieselbe ausdrücklich: unsere Beziehungen sind immer korrekt gewesen.“
Der Vorsitzende ließ meine Schwägerin an die Schranken treten und sagte: „Sie haben gehört, was der Angeklagte bekundet hat. Wie äußern Sie sich dazu?“
„Ich bin aufs höchste überrascht.“
„Sie haben seine Leidenschaft nicht erwidert?“
„Ich hatte keine Ahnung davon.“
„Wußten Sie an dem Nachmittag, daß er in Baden-Baden war?“
„Nein.“
„Wenn er Sie angeredet hätte, wie er angibt, beabsichtigt zu haben, was würden Sie ihm geantwortet haben?“
„Ich hätte ihn heimgeschickt zu seiner Frau.“
Der Vorsitzende nickte befriedigt. Hielt mir vor, daß meine Aussagen sehr unglaubwürdig klängen. Ermahnte mich noch einmal, der Wahrheit die Ehre zu geben. Ich blieb bei dem, was ich gesagt hatte.
Der Staatsanwalt ließ die Akten des Referendars bringen und gab die Erklärung ab, daß derselbe, wegen Sittlichkeitsdelikts angeklagt, in erster Instanz zwar freigesprochen worden sei, daß aber die Staatsanwaltschaft gegen das Urteil Berufung eingelegt habe. Wann war diese Berufung eingelegt worden? Gleich nachdem das Urteil ergangen war? Nein, erst dann, als der Referendar sich durch sein Auftreten in meiner Verhandlung der Staatsanwaltschaft mißliebig
Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses.. Ullstein, Berlin 1925, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Das_Todesurteil_(Hau).djvu/131&oldid=- (Version vom 31.7.2018)