Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses. | |
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die Tat verübt hätte, wobei er mit der Logik ziemlich selbstherrlich umsprang. Er richtete seinen Vortrag direkt an die Geschworenen und sprach in so apodiktischem Tone, daß er auf die Leute zweifellos einen starken Eindruck machte. Das sah man an ihren Mienen; der Herr Medizinalrat imponierte ihnen. Der Vorsitzende hatte kein Wort gegen die Kompetenzüberschreitung einzuwenden, sondern hörte dem Gallimathias mit Wohlgefallen zu. Der Verteidiger aber war empört und legte schärfsten Protest ein; kein Gutachten sei das gewesen, sondern schlimmer als ein Plädoyer des Staatsanwalts, und dazu ein so verworrenes und unsinniges Geschwätz, daß es schwer sei zu begreifen, wie ein gebildeter Mensch so etwas vorbringen könne. Er sagte noch mehr, was für den alten Herrn keineswegs schmeichelhaft war. Dieser riß bestürzt die Augen auf und rief den Schutz des Gerichtshofs an, der ihm denn auch in ausgiebigem Maße zuteil wurde. Der Vorsitzende fuhr den Verteidiger heftig an und erteilte ihm eine Rüge. Da sich Dr. Dietz eine solche Behandlung nicht bieten ließ, sondern erklärte, wenn die Verhandlung in der bisherigen parteiischen Weise weitergeführt werde, sei er entschlossen, die Verteidigung niederzulegen, so war der schönste Skandal da, wenn der Vorsitzende nicht doch klug genug gewesen wäre, im letzten Augenblick einzulenken. Aber natürlich war der Vorfall nicht geeignet, die elektrische Spannung, die in der Atmosphäre lag, zu verringern.
Mit vornehmer Sachlichkeit erstattete der Geheimrat sein Gutachten. Neben seinem Vorgänger nahm er sich aus wie ein König im Reiche der Wissenschaft neben einem Kärrner. So vorsichtig er seine Worte wählte, ein gewisser Unterton war unverkennbar, der Sympathie für den Angeklagten verriet. Und in gleicher Weise, nur vielleicht mit noch etwas weniger verhüllter Sympathie, äußerte sich Professor Aschaffenburg.
Nun betrat auch der Schreibsachverständige den Zeugenstand und hob an, sein Sprüchlein herzusagen, indem er einen formidablen Stoß Papiere aus der Tasche zog und vorbereitenderweise bemerkte, der
Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses.. Ullstein, Berlin 1925, Seite 124. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Das_Todesurteil_(Hau).djvu/125&oldid=- (Version vom 31.7.2018)