die längst verstorbene Frau des Onkels dar, und das kühne Profil zeigt eine auffallende Ähnlichkeit mit Achim von Arnim oder Byron. Es ist das ein Menschentypus, dem man in unseren Tagen selten mehr begegnet, und der früher häufiger gewesen zu sein scheint. Vielleicht verschwinden Menschentypen mit den Idealen ihrer Epoche. Wer würde wohl heute wie Byron für die Unabhängigkeit der Griechen kämpfen? – Wenn man Gesichtszügen vertrauen darf, so muß die verstorbene Tante ein wahrer Gentleman gewesen sein, der nie aus der Not anderer Kapital geschlagen hätte.
Der Onkel ist in den Jahren, die ich in der Ferne verlebt, ein ganz alter Mann geworden. Sein langes Haar ist weiß geblichen, die ganze, hohe Gestalt ist so abgemagert, als seien die irdischen Bestandteile, deren wir zum Leben bedürfen, von ihm schon abgefallen. Die Worte »ein verklärter Leib« fielen mir ein, als ich ihn wieder sah. Die klaren, schönen Augen sind dieselben geblieben, nur größer sind sie geworden, und es ist, als übersähen sie vieles, was sich unsern Blicken aufdrängt, und als gewahrten sie dafür schon Dinge, die uns noch verborgen sind.
Harmonie und Ruhe strahlten von ihm aus.
Er lebt in seiner besonderen Welt, und ich merkte bald, daß er sich gegen alles, was ihn daraus
Elisabeth von Heyking: Briefe, die ihn nicht erreichten. Verlag von Gebrüder Paetel, Berlin 1903, Seite 162. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Briefe_die_ihn_nicht_erreichten_Heyking_Elisabeth_von.djvu/163&oldid=- (Version vom 31.7.2018)