Ich habe die erste Etappe hinter mir.
Meine Beine zittern, meine Armmuskeln flattern. Ich lehne unten am Mast, und Regen und Wind fächeln mein schweißtriefendes Gesicht. Ich schelte den Wind nicht mehr Bestie. Jetzt erscheint er mir wie kühle liebkosende Frauenhände, die mir streichelnd Glück wünschen. Hinter mir liegt der große dunkle Bau mit den zahllosen Fensterchen …
Einzelne Fenster sind hell: die Flurfenster! Zuweilen gleitet ein Schatten hinter diesen Fenstern vorüber. Die armen Angestellten des Hotel Düsterburg haben nicht einmal nachts Ruhe. Die Hotelgäste haben es besser. Die dürfen ab neun Uhr ungestört ihren jagdsportlichen Neigungen nachgehen. Meine Jagdbeute pro Nacht betrug durchschnittlich dreißig Wanzen und ein Dutzend Flöhe.
Meine überanstrengte Muskulatur beruhigte sich wieder. Ich mußte daran denken, den zweiten Teil meines Programms zu erledigen, denn die Nächte im April sind hier in Südschweden nicht allzu lang. Um sieben wird es hell, und bis dahin mußte ich den Boden meines Vaterlandes unbedingt verlassen haben.
Ich wandte mich der im Tale liegenden Stadt zu, kam über ein reißendes Flüßchen, dessen Holzbrücke unlängst von meinen bisherigen Kameraden erneuert worden war, und sah nun links die Lichtreihen des Bahnhofs und rechts einzelne helle Villen in alten, dicht bewachsenen Gärten herüberwinken.
Um die literarischen Größen meiner Heimat hatte ich mich gerade nur so viel gekümmert, daß mir noch rechtzeitig im Hotel Düsterburg eingefallen
Max Schraut: Das tote Hirn. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1930, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_tote_Hirn.pdf/9&oldid=- (Version vom 31.7.2018)