Unser Mann hebt den Kopf von der gerollten Decke und stiert mit aufgerissenen Augen auf das glühende Eisen. Sein vom Blutverlust bleiches Gesicht wird noch fahler. Der Mund öffnet sich vor Entsetzen ganz weit, und die Goldzähne im Oberkiefer blinken im Sonnenlicht.
Boche Boche stellt sich neben die Hand, die zu dem ausgereckten Arm gehört. Um das Handgelenk liegt die Drahtschlinge und schneidet eine tiefe Furche in die Haut. Die Hand ist aufgequollen, die Adern sind dick, denn die Schlinge hindert den Blutkreislauf.
Der Kamerad bringt das bereits wieder schwarze, aber immer noch heiße Eisen dicht an die Finger dieser Hand heran.
„Wie heißen Sie?!“
Der Elende schnappt nach Luft …
„Schurken – Schurken!“ brüllt er …
„So können Sie unmöglich heißen,“ meint Boche Boche mit der gefährlichen Ironie eines Menschen, der über einen anderen unbedingt Gewalt hat. „Ein Schurke sind Sie, das stimmt … Wie ist Ihr Name? Lügen Sie, so wird von Ihrer Hand, fürchte ich, nicht viel übrig bleiben. Also …?!“
Ich hatte den Kameraden in dieser geistigen Verfassung, die bei ihm einen Rückfall in die wilde Zeit seiner Fronttätigkeit bedeutete, seit dem letzten „Krach“ mit Frau Jörnsen nicht mehr gesehen. Es konnte sich ja nur um ausgesprochene Rückfälle handeln, denn bei all seinem fast zügellosen Herrenmenschentum und bei all seiner Kraftnatur war er doch stets der Mann von Bildung, Takt und vornehmer Anpassungsfähigkeit geblieben. Freilich, ob er an der Westfront als einfacher Soldat oder als Offizier die Schrecken der Massenvernichtung
Max Schraut: Das tote Hirn. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1930, Seite 162. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_tote_Hirn.pdf/162&oldid=- (Version vom 31.7.2018)