ich die Trinkgelder auf die Rechnung schreibe, selbstverständlich so reichlich bemessen, dass der Gast mir nicht den Vorwurf einer seiner nicht würdigen Knauserei machen kann. So kamen die Trinkgelder auf die Rechnung, sie wurden fortan ein stehender Posten: das „Servis“. Der Wirth hatte seinen Zweck erreicht – die Trinkgelder flossen in seine Tasche, er seinerseits konnte fortan mit Gemüthsruhe dem weiteren Verlauf der Dinge zusehen.
Auch der Gast und der Kellner? Scheinbar war ersterer jetzt des Trinkgeldergebens überhoben, in Wirklichkeit aber war seine Lage keine andere als die des mildherzigen Mannes, der einem armen Jung dem die Hände zu erfrieren drohten, ein paar warme Handschuhe kaufte, und der, da der Vater dieselben für sich nahm, sich genöthigt fand, ihm ein Paar neue zu kaufen. Die Reisenden, welche anfänglich an den Ernst jener neuen Einrichtung glaubten und sich des Trinkgeldergebens an das Dienstpersonal überhoben meinten, wurden bald eines Besseren belehrt. Zuerst durch die Notiz auf der Gasthofsnote: „Hausknecht und Portier sind im obigen Servis nicht einbegriffen.“ Warum nicht einbegriffen? Selbstverständlich! Sonst hätte ja unser ingeniöser Wirth auf die Einnahmequelle, die er in der Verpachtung dieser Posten besass, verzichten müssen – eine Unbilligkeit, die Niemand ihm zumuthen konnte! Der zweite hinkende Bote, der sich beim Gast einstellte, war
Rudolf von Jhering: Das Trinkgeld. Georg Westermann, Braunschweig 1882, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Trinkgeld.pdf/31&oldid=- (Version vom 31.7.2018)