Umbildung, die nun der Gottesdienst erleben mußte, der des Einzelnen und der Gottesdienst der Gemeinschaft. Jener – das war offenbar – kann und darf nichts anderes sein als Bethätigung des Glaubens. „Gott will von uns nichts anderes als den Glauben und will auch nur durch den Glauben mit uns handeln“: diesen Satz hat Luther unzählige Male wiederholt. Daß der Mensch Gott Gott sein läßt und ihm die Ehre giebt, ihn als den Vater anzuerkennen und anzurufen – nur so vermag er ihm zu dienen. Alle übrigen Wege, die er aufsucht, um zu ihm zu kommen und ihm zu ehren, sind Irrwege, und alle anderen Beziehungen, die er knüpfen will, sind vergeblich. Welch eine ungeheure Masse ängstlicher, hoffender und hoffnungsloser Versuche war nun abgethan, und welch eine Umwälzung im Kultus war damit gegeben! Was aber von dem Gottesdienst des Einzelnen gilt, das gilt genau so von dem gemeinschaftlichen. Auch hier hat nur das Wort Gottes und das Gebet einen Platz. Alles andere ist zu verbannen: die gottesdienstliche Gemeinde soll in Dank und Lob Gott verkündigen, und sie soll ihn anrufen. Darüber hinaus giebt es überhaupt keinen „Gottesdienst“.
In diesen drei Stücken ist das, was in der Reformation die Hauptsache war, enthalten. Um Erneuerung handelte es sich; denn sie bezeichnen nicht nur, wenn auch in eigentümlicher Weise, eine Rückkehr zum ursprünglichen Christentum, sondern sie waren auch im abendländischen Katholizismus selbst vorhanden, wenn auch verschüttet und verdeckt.
Bevor wir aber weiter gehen, gestatten Sie mir zwei kurze Exkurse. Wir sagten eben, die gottesdienstliche Gemeinde dürfe ihren Gottesdienst nicht anders feiern als durch Verkündigung des Wortes und durch Gebet. Wir müssen aber nach Anweisung der Reformatoren noch hinzufügen, daß sie auch als Kirche überhaupt kein anderes Merkmal haben soll als das, Gemeinschaft des Glaubens zu sein, in welcher das Wort Gottes recht gepredigt wird – über die Sakramente dürfen wir hier schweigen, da auch sie nach Luther ihre Bedeutung lediglich am Wort haben. Sind aber Wort und Glaube die einzigen Merkmale, so scheinen die im Rechte zu sein, welche sagen, die Reformation habe die sichtbare Kirche aufgehoben und eine unsichtbare an die Stelle gesetzt. Allein diese Behauptung ist nicht zutreffend. Die Unterscheidung einer sichtbaren und einer unsichtbaren Kirche stammt aus dem Mittelalter
Adolf von Harnack: Das Wesen des Christentums. J. C. Hinrichs, Leipzig 1900, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DasWesenDesChristentums.djvu/174&oldid=- (Version vom 30.6.2018)