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Seite:DasWesenDesChristentums.djvu/154

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der Christenheit zwischen der Weltkirche und dem Mönchtum bestanden hat, ist leider fast ganz verschwunden, und der Segen, den es gestiftet hat, ist kaum mehr zu spüren. Nicht nur die Weltkirche hat sich das Mönchtum unterworfen und es überall unter ihr Joch gebeugt, sondern auch die Weltlichkeit ist in besonderem Maße in die Klöster eingezogen. In der Regel sind die griechischen und orientalischen Mönche heute die Organe für die niedersten und schlimmsten Funktionen der Kirche, für den Bilder- und Reliquiendienst, den krassesten Aberglauben und die blödeste Zauberei. Ausnahmen fehlen nicht, und noch immer muß sich die Hoffnung auf eine bessere Zukunft an die Mönche klammern; aber abzusehen ist nicht, wie einer Kirche Besserung werden soll, die, mag sie lehren was sie will, sich dabei beruhigt, daß ihre Mitglieder gewisse Zeremonien richtig beobachten – das ist der christliche Glaube – und die Fasten richtig einhalten – das ist die christliche Sittlichkeit.


Wir fragen schließlich: Wie ist das Evangelium in dieser Kirche modifiziert worden, und wie hat es sich behauptet? Nun zunächst habe ich keinen Widerspruch zu erwarten, wenn ich antworte: dieses offizielle Kirchentum mit seinen Priestern und seinem Kultus, mit allen den Gefäßen, Kleidern, Heiligen, Bildern und Amuletten, mit seiner Fastenordnung und seinen Festen hat mit der Religion Christi gar nichts zu thun. Das alles ist antike Religion, angeknüpft an einige Begriffe des Evangeliums, oder besser, das ist die antike Religion, welche das Evangelium aufgesogen hat. Die religiösen Stimmungen, die hier erzeugt werden, oder die dieser Art von Religion entgegenkommen, sind unterchristliche, sofern sie überhaupt noch religiös genannt werden können. Aber auch der Traditionalismus und die „Orthodoxie“ haben mit dem Evangelium wenig gemein; auch sie sind nicht von ihm her gewonnen oder von ihm abzuleiten. Korrekte Lehre, Pietät, Gehorsam, Schauer der Ehrfurcht können wertvolle und erhebende Güter sein; sie vermögen den einzelnen zu binden und zu zügeln, zumal wenn sie ihn in die Gemeinschaft eines festen Kreises hineinziehen; aber mit dem Evangelium haben sie so lange nichts zu thun, als der einzelne nicht dort gefaßt wird, wo seine Freiheit liegt und die innere Entscheidung für oder wider Gott. Dem gegenüber ist in dem Mönchtum, in dem Entschlusse, Gott durch Askese und Kontemplation zu dienen, immerhin ein ungleich Wertvolleres enthalten, weil Sprüche

Empfohlene Zitierweise:
Adolf von Harnack: Das Wesen des Christentums. J. C. Hinrichs, Leipzig 1900, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DasWesenDesChristentums.djvu/154&oldid=- (Version vom 30.6.2018)