Ein Tideus voll von wilder Wuth geschlagen,
So ward von ihm dem Schädel hier gethan.
Den Haß an diesem stillst, an dem du nagst,
Weshalb,““ begann ich, „„magst du dich beklagen?
Und wer er sei, und was dein Nagen räche,
So lohn’ ich’ dorten dir, wo du erlagst,
Der Sünder jetzt und wischt’ ihn mit den Locken
Des angefressnen Hinterkopfes aus.
Verzweiflungsvollen Schmerz soll ich erneu’n,
Bei deß Erinnrung schon die Pulse stocken?
Die Frucht der Schande dem Verräther bringen,
Nicht Reden werd’ ich dann, noch Thränen scheu’n.
Gelungen, weiß ich nicht, doch schien vorhin
Wie Florentiner-Laut dein Wort zu klingen.
[187] Erzbischof Roger Er, den ich zerbissen.
Nun horch, warum ich solch ein Nachbar bin.
Als er durch Arglist mein Vertraun bethört
Und mich getödtet hat, das wirst du wissen.
Noch haben kannst – den Tod voll Graus und Schauer,
Und fass’ es, wie sich noch mein Herz empört.
Durch mich benannt vom Hunger, wo gewiß
Man Manchen noch verschließt zu bittrer Trauer,
Das erste Zwielicht, als ein Traum voll Grauen
Der dunklen Zukunft Schleier mir zerriß.
Den Wolf und seine Brut zum Berg hinaus,
- ↑ 139. Die Zunge.
- ↑ XXXIII. [7. 8. S. das zu 32, V. 96 Bemerkte. Hiernach ist auch das Versprechen Dante’s am Schluß des vorigen Gesanges aufzufassen.]
- ↑ 13. [Die Tragödie von Ugolino und Ruggieri bietet ein charakteristisches Bild von den alles zerfressenden, wüthenden Parteikämpfen, welche damals in fast allen Städten des oberen und mittleren Italiens geführt wurden. Die historischen Umstände sind in der Kürze diese: Graf Ugolino della Gheradesca stützte sich als Podestà von Pisa – welches Amt die höchsten Gewalten des Richters und Feldherrn vereinte und welches er seit 1284 bekleidete – hauptsächlich auf die Guelfische Partei, wodurch er natürlich die Ghibellinen der Stadt, die [187] Familien der Lanfranchi, Gualandi und Sismondi, an ihrer Spitze den Erzbischof Ruggieri (Roger), gegen sich bekam. Pisa stand damals im Krieg mit Genua, sowie den mit ihm verbündeten Städten Florenz und Lucca. Da nun Ugolin schon vor seiner Amtsführung in der für Pisa so unglücklichen, Seeschlacht bei der Insel Meloria (1282) als Heerführer eine nicht ganz klare Rolle gespielt und nachher den Lucchesen ohne Zustimmung der Pisaner – allerdings um sie vom Bund mit Genua und Florenz zu trennen – einige Vesten übergeben hatte, was ihm wenigstens auch Dante zum Verrath anrechnet (Gs. 33. V. 86); da ferner seine Verwaltung selbst nicht von tyrannischer Gewaltthätigkeit und egoistischem Laviren zwischen den Parteien, sein Charakter nicht von dem Flecken freizusprechen ist, die Erhaltung der eignen Macht zum obersten Grundsatz gemacht zu haben: so war es damals schon seinem Gegner nicht schwer, das Volk allmälig gegen ihn einzunehmen. Indessen aber wurde von Roger dem Gewaltigen die beste Freundschaft geheuchelt, der auch seinerseits das Bündniß mit dem Erzbischof, diplomatisch wie er war, eifrig suchte. Endlich kam der Tag, an welchem der wirklich teuflische Verrathsplan ausgeführt werden sollte. Der sichere Machthaber befand sich eben außerhalb der Stadt. Da ließ Roger die Glocken ziehen, ein „Tod dem Tyrannen“ durch die Straßen schreien, seine Banden zum Handgemenge vorgehen. Die Guelfen erlagen. Der Podestà selbst, auf der Flucht nach Lucca eingeholt, begleitet von zwei Söhnen, Gaddo und Uguccione (Hugo), und zwei Enkeln, Brigata und Anselmuccio wurde mit diesen Unschuldigen in den Thurm der Gualandi, später der „Hungerthurm“ genannt, eingeschlossen und nach siebenmonatlichem Gefängniß dort dem Hungertode auf Befehl des Erzbischofs preisgegeben. Der Thurmschlüssel wurde in den Arno geworfen. Es war im Jahr 1289. Niemand erhob sich [188] ob diesem Gräuel, obwohl der Thurm auf dem Forum der Republik, der jetzigen Piazza de’ Cavalieri (– man kommt auf dem Wege zum Domplatz an der Stätte vorbei –) stand und jedermann noch mehrere Tage lang das Winseln der Unglücklichen gehört haben soll. Dante aber stellt die historische Gerechtigkeit wieder her, indem er zwar den stolzen Pisaner selbst als Staatsverräther in die Hölle versetzt, ihm aber den, übrigens erst ziemlich lange nachher gestorbenen Erzbischof dort in die Hände gibt als einen noch ärgeren Sünder, als einen Verräther an der Unschuld der Kinder und an dem besonderen Vertrauen, das er dem Gegner unter der Maske der Freundschaft abzulocken gewußt hatte. Darum darf auch Ugolin selbst sein Geschick erzählen, indem ihm dazu die Menschheit und menschliche Erinnerung wiederkehrt und wir fühlen, ohne weiter Anstoß daran zu nehmen, daß das nicht Ugolin selbst, sondern nur sein verworfener Schatten war, welcher eben noch seinen Feind so scheußlich zernagte. –
Mit der nun V. 16 beginnenden Erzählung selbst betritt der Leser ein Heiligthum der Poesie. Man kann über diese Stelle, in welcher der grandiose Realismus der Darstellung mit unübertrefflicher Kunst gemildert erscheint durch den versöhnenden Gegensatz des Heldenmuths und der zarten Gefühle der Sterbenden, nur mit Goethe sagen, der sonst kein Verehrer Dante’s war, daß sie zum Höchsten gehöre, was die Dichtung aller Zeiten hervorgebracht hat.]
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 186 bzw. 187. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_186187.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)