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Seite:Dante - Komödie - Streckfuß 178179.jpg

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Um, was von seinem Leib nach oben ragte,
Nach unten hin fünfmale zu umziehn.

91
Da sprach mein Meister: „Mit dem Donn’rer wagte

Sein kühner Stolz des großen Kampfes Loos.
Hier aber sieh den Preis, den er erjagte.

94
Ephialtes ist’s. Sein Thun war kühn und groß[1]

Im Riesenkampfe, zu der Götter Schrecken;
Nun ist sein droh’nder Arm bewegungslos.“

97
Und ich zu ihm: „„Den ungeheuren Recken,

Den Briareus, wenn dies geschehen kann,[2]
Möcht’ ich wohl gern in diesem Thal entdecken.““

100
Mein Führer drauf: „Du siehst hier neben an[3]

Antäus stehn. Er spricht, ist ungebunden,
Und setzt uns nieder in den tiefsten Bann.

103
Der, den du suchst, wird weiterhin gefunden,

Gleich diesem hier, nur schrecklicher zu schau’n,
Allein wie er mit Ketten fest umwunden.“

106
Hier schüttelt’ Ephialtes sich, und traun!

Kein Erdenstoß, von dem die Thürme schwanken,
War heftiger, erregte tiefres Grau’n.

109
Ich glaubte schon dem Tode zuzuwanken,

Und sah ich nicht, wie ihn die Kett’ umschloß,
So gnügten mich zu tödten die Gedanken.

112
Wir gingen weiter, ich und mein Genoß,

Und sahn Antäus, der dem tiefen Bronnen
Fünf Ellen bis zum Haupte hoch, entsproß.

115
„Der du im Thal, das ew’gen Ruhm gewonnen,

[179] Weil Hannibal in ihm, der kühne Feind,
Mit seiner Schaar vor Scipio’s Muth entronnen,

118
Einst tausend Löwen fingst! – wenn du, vereint

Mit deinen Brüdern kühn den Arm geschwungen
Im hohen Krieg, so hätten, wie man meint,

121
Die Erdensöhne doch den Sieg errungen.

Jetzt setz’ uns dort hinab, wo, fern dem Licht,
Die starre Kälte den Cocyt bezwungen.

124
Zu Tityus noch Typhäus schick’ uns nicht,[4]

Das, was man hier ersehnt, kann dieser geben,
Verzerre drum nicht also dein Gesicht!

127
Er kann auf Erden deinen Ruf erheben.

Er lebt und hofft, wenn ihn nicht vor der Zeit
Die Gnade zu sich ruft, noch lang zu leben.“

130
Er sprach’s, und Jener, schnell zum Griff bereit,

Streckt’ aus die Hand, um auf ihn loszufahren,
Die Hand, die Herkul fühlt’ im großen Streit.

133
Virgil, kaum konnt’ er sich gepackt gewahren,[5]

Rief: „Komm hierher, wo dich mein Arm umstrickt!“
Drauf macht’ er’s, daß wir Zwei ein Bündel waren.

136
Wie Carisend’, von unten her erblickt,[6]

  1. 94. Ephialtes thürmte mit seinem Bruder Otus auf den Olymp den Ossa und auf den Ossa den Pelion, um den Himmel zu ersteigen. Und doch deckte noch kaum Milchhaar ihr Kinn, als Apollo mit seinen Pfeilen sie erlegte. Seine Arme sind gebunden, aber die Erde erzittert noch, wenn er sie schüttelt.
  2. 98. Briareus, der hundertarmige Riese, ein Sohn des Uranus und der Erde, [der ebenfalls in der Hölle nach Aeneis VI. 287. Nach anderer Sage hat er vielmehr den Göttern beigestanden.]
  3. 100. Antäus, ein Sohn der Erde, welche ihm, sobald er sie berührte, neue Kraft gab. Herkules mußte ihn daher ersticken, weil Antäus im Kampfe mit ihm, nach jedem Falle als ein fürchterlicherer Feind sich erhob. Er ist ungebunden, weil er nicht am Kriege gegen den Donnerer theilnahm. [Er gehört einer späteren Zeit an. Seine Heimat war nach Lucan bei Zama, wo Hannibal unterlag. Daher V. 118.]
  4. [179] [124 ff. „Typhäus und Tityus“ zwei andere Giganten. „Dieser“ Dante.
    „Das was man hier ersehnt“ der Nachruhm auf Erden, V. 127 und oft sonst.]
  5. 133. Virgil, wie er sich von Antäus gefaßt fühlt, ruft und faßt den Dante und umstrickt ihn so, daß Antäus sie beide als ein Bündel hinabbringen kann.
  6. 136. [Die Carisenda ist einer der beiden schiefen Thürme von Bologna, welche der Stadt ein so interessantes, landschaftliches und architektonisches Ansehen geben und zugleich ihr historisches Wahrzeichen sind. Denn während der schiefe Thurm zu Pisa ohne Zweifel durch unvorhergesehene Senkung des tiefgelegenen Domplatzes, worauf er steht, so geworden ist: scheinen die beiden in Bologna vielmehr von Anfang an schief angelegt, als Denkmäler der Prahlerei der Adelsgeschlechter, von denen sie zur Wehr erbaut wurden und den Namen haben. Der andere, von den Asinelli erbaut, heißt „die Asinelli“. Uebrigens sind die Akten über diese Weltwunder noch nicht abgeschlossen. So viel ist aber gewiß: wenn man dem einen oder dem andern von unten hinaufschaut während Wolken gegen denselben ziehen, so zeigt sich das seltsame Naturschauspiel, an welchem sich auch Dante als Verbannter in Bologna oft ergötzt zu haben scheint, daß die Wolken stille stehen, während der Thurm [180] sich abwärts bewegt, als wollte er über einen hereinstürzen. – Gleicherweise beugt sich also Antäus, um die Dichter auf den untersten Boden der Hölle hinabzusetzen.]
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 178 bzw. 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_178179.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)