Zu wünschen pflegt, daß man nur träumen möge,
Und das, was ist, ersehnt, als wär’ es nicht;
Entschuld’gen wollt’ ich mich – Entschuld’gung kam,
Indem ich glaubte, daß ich’s nicht vermöge.
Wäscht größern Fehler ab, als du begangen;
Darum entlaste dich von jedem Gram;
So denke stets, daß ich dir nahe bin,
Und bleibe nicht daran voll Neugier hangen,
Und beide Wangen überzog mit Roth,
War’s, die mich dann mit Arzeneien letzte.
Und seines Vaters, der mit einem Zücken
Verletzt’ und mit dem andern Hülfe bot.
Den Damm durchschneidend, der es rings umlag,
[175] Um, schweigend, mehr nach innen vorzurücken.
Daher die Blicke wenig vorwärts gingen;
Doch tönt’ ein Horn. Der stärkste Donner mag
Drum sucht’ ich nur, entgegen dem Gebraus,
Mit meinem Blick zu seinem Quell zu dringen.
Der Karls des Großen heil’gen Plan vernichtet,
Des Grafen Roland Horn mit solchem Graus.
Glaubt’ ich, viel hohe Thürme zu ersehn,
Und sprach: „„Ist eine Veste dort errichtet?““
Versuchst in diesen nachterfüllten Räumen,
Mußt du dich selber öfters hintergehn.
Aus der Entfernung das Geschaute schwoll;
Drum schreite vorwärts ohne lang zu säumen.“
Und sprach: „Ich will dir die Bewandtniß sagen,
Weil’s nah dann minder seltsam scheinen soll.
Nein, Riesen sind’s, die rings am Brunnenrand
Vom Nabel aufwärts in die Lüfte ragen.“
In Dunst gehüllt, allmälig unsre Blicke
Das klar erkennen, was er erst umwand;
Scheucht’ ich den Wahn, genaht dem tiefen Schlund,
Doch fühlte, daß mich neu die Furcht bestricke.
- ↑ 139. Dante verzweifelt daran, sich über seine den Streitern durch Aufmerksamkeit bewiesene Theilnahme entschuldigen zu können. Aber die Scham, die er zeigt, dient ihm bei Virgil zur besten Entschuldigung.
- ↑ XXXI. 1. Am Ende des vorigen Gesanges V. 131 hatte Virgil den Dichter durch seinen Tadel gekränkt, dann durch seinen Zuspruch V. 142 ihn wieder getröstet. Sein Wort war daher wie der Speer Achilles, der den Telephus erst verwundete und dann durch seine Berührung wieder heilte.
- ↑ 7. Die zehn Abtheilungen des achten Kreises mit den verschiedenen Gattungen von Betrügern sind nun durchwandert. Die Dichter gehen quer über den Felsendamm, um sich dem neunten Kreise zu nähern, in welchem die Verräther bestraft werden. Es ist der Brunnen, von welchem Ges. 18 V. 4 ff. die Rede ist.
- ↑ [175] 16. Karl der Große, welcher die Absicht hatte, die Mauren aus Spanien zu vertreiben, wurde durch den Verrath des Ganelon von Mainz bei Ronceval von den Feinden völlig geschlagen. Hier soll, nach Turpin, Roland mit solcher Gewalt in’s Horn gestoßen haben, daß der Schall meilenweit in der Runde gehört wurde.
- ↑ [V. 22–26 möchten wir auch allegorisch von der göttl. Kom. selbst verstehen und eine eigene Warnung des Dichters darin sehen, nicht zu viel in seinem vielsinnigen Werke suchen zu wollen, sondern nur das, was eine gesunde Symbolik ohne Zwang ergibt.]
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 174 bzw. 175. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_174175.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)