Noch Deidamia den Achill beklagte,[1]
Auch des Palladiums Raub rächt ihre Noth.“
Ich drauf zum Meister, „„o dann bitt’ ich dich
Viel tausendmal, da ich sie gern befragte,
Zu uns hierher bewegt, ein wenig weilen.
Sieh, hin zu ihr zieht die Begierde mich.““
Wie sie verdient; sie sei darum gewährt,
Doch laß die Sprechlust nicht dich übereilen.
Spröd blieben sie gewiß bei deinem Worte,[2]
Denn Griechen sind sie, stolz auf ihren Werth.“
Da hört’ ich diese Red’, als Ort und Zeit
Er für geeignet hielt, von meinem Horte:
Wenn ich euch jemals Grund gab, mich zu lieben,
Da ich dem Ruhm der Helden mich geweiht,
So weilt bei mir und sag’ Ulyß mir an,
Wo auf der Irrfahrt sein Gebein geblieben.“
Zu flackern erst und murmelnd sich zu regen,
Als wäre sie vom Wind gefaßt, und dann
Gleich einer Zung’, und deutlich tönt’ und klar
Dann aus der Flamm’ uns dieses Wort entgegen:
Und länger bei Gaëta festgehalten,[4]
Eh’s so benannt noch von Aeneas war,
Gebeugten Vater, nicht der Gattin Huld,
Noch Vaterzärtlichkeit im Herzen walten.
Die Welt zu sehn und Alles zu erkunden,
Was drin der Mensch besitzt an Werth und Schuld.
In einem einz’gen Schiff ins offne Meer,
Sammt einem Häuflein, das ich treu erfunden.
Ich meine wackre Schaar, als kühner Leiter,
Und jedem Eiland jenes Meers umher.
Da war mein Schiff am engen Schlunde dort,[6]
Wo Herkuls Säulenpaar gebeut: Nicht weiter!
Und linker Hand die Zinnen Ceuta’s waren,
Sprach ich zu den Gefährten dieses Wort:
Ihr hier im Westen kühn euch eingestellt,
Verwendet jetzt, um Neues zu erfahren,
Den kurzen Rest von eurem Erdenleben
Der Sonne nach zur unbewohnten Welt![7]
- ↑ 62. Deidamia, Tochter des Lykomedes, Königs von Skyros. Zu diesem brachte Thetis ihren Sohn Achilles in Mädchenkleidern, um ihn der Gefahr zu entziehen, welche ihm nach den Orakeln von Troja drohete. Aber Ulyß entdeckte ihn, als Achill nicht, wie die andern Mädchen, nach weiblichem Schmucke, sondern nach den ihm dargebotenen Waffen griff, und überredete ihn, seine Geliebte Deidamia zu verlassen und am Zuge gegen Troja Theil zu nehmen.
- ↑ [74. Bezieht sich entweder darauf, daß Dante so viel von der Römer, aber nie von der Griechen Thaten singt – oder darauf, daß Dante des Griechischen nicht mächtig war.]
- ↑ [149] 91. Circe, die Zauberin, verwandelte die Gefährten des Ulyß in Schweine, ihn selbst aber, der durch ein Heilkraut des Hermes geschützt war, gewann sie lieb, und hielt ihn ein Jahr lang auf ihrer Insel fest.
- ↑ 92. Gaëta soll seinen Namen von Cajeta, der Amme des Aeneas, erhalten haben.
- ↑ 94. Wir kennen aus der Odysee den Vater des Ulyß, Laërtes, die keusche, fleißige Gattin Penelope und den Sohn Telemach. Die hier folgende Erzählung stimmt nicht mit Homers Gedicht überein, welcher den Helden nach langer Irrfahrt ins Vaterland und zu den Seinen zurückführt.
- ↑ 107. Die Meerenge von Gibraltar.
- ↑ 117. Dante setzt voraus, daß die ganze westliche Halbkugel vom Meere bedeckt sei und nur der Berg herausrage, an welchem er den Ulyß V. 113 ff. scheitern läßt und unter welchem er ohne Zweifel den [150] Berg des Fegefeuers versteht, welchen wir im zweiten Theile kennen lernen. Ob der Dichter die Odyssee nicht kannte, oder ob er sie kannte, und dennoch die folgende Erzählung erfand, um uns vorläufig dem Berge des Fegefeuers (V. 133) bekannt zu machen, muß unentschieden bleiben.
Längst schon vor Columbus war die Idee, daß sich auf der westlichen Halbkugel ein großes Land befinden müsse, erwacht, da schon im eilften Jahrhundert scandinavische Schiffer von Island aus einen Theil des nördlichen Amerika befahren hatten. Wir können kaum zweifeln, daß die Kunde davon, wenigstens als dumpfes Gerücht, auch nach Italien gekommen sei, da während der thatenreichen Regierung der Hohenstaufen sich mannigfache Verhältnisse zwischen dem Norden und Süden gebildet hatten. Vielleicht hat der Dichter die Absicht gehabt, vor Unternehmungen zu warnen, welche bei der lebendigen Aufregung der Zeitgenossen, bei ihrer Geneigtheit zu kühnen Plänen und bei den Fortschritten der Italiener in der Schiffahrt gar wohl in der Regierung eines der Seestaaten entstehen konnten und vielleicht bereits entstanden waren. [Oder er will damit (– vgl. V. 21 ff. u. Anm.) eben überhaupt sagen, daß der Geistesdrang, wenn er gegen die von Gott gesetzten Schranken anstoße, verderblich sei.]
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 148 bzw. 149. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_148149.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)