Gar nöthig braucht, aufsteht und jeden Ort
Schneeweiß erblickt, dann schlägt er sich die Hüften,
Und weiß nicht, was zu thun vor großem Leide –
Doch frische Hoffnung faßt er dann sofort,
Schnell kommt er nun mit seinem Stab herbei
Und treibt die muntern Schäflein auf die Weide.
Daß ungewohnter Mißmuth ihn bedrücke;
So schnell auch kam zum Schmerz die Arzenei.
Kehrt ihm die Huld, mit der er zu mir trat
Am Fuß des Bergs, aufs Angesicht zurücke.[1]
Mit sich gepflogen, wohl den Schutt betrachtend,
Und dann erfaßt’ er mich mit rascher That.
Im Voran scharf erwägt, was er vermag,
Hob er mich auf ein Felsenstück, beachtend,
Und sprach: Anklammre dich, doch wahrgenommen
Sei durch Versuch erst, ob’s dich tragen mag.
Da wir, ich fortgeschoben, Er so leicht,
Mit Mühe nur von Block zu Blocke klommen.
Wenn niedrer nicht, als jenseits diesem Grunde
Das Ufer war, des Dammes Höh’ erreicht,
Des tiefen Brunnens hin allmälig neigt,
So liegt’s von selbst im Bau von jedem Runde,
[135] Am Ende kamen wir bis zu der Spitze,
Wo sich der Felsentrümmer letzte zeigt.
Daß ich, sobald ich mich hinaufgerafft,
Mich keuchend niederließ auf einem Sitze.
Denn nimmer kommt der Ruhm dem zugeflogen,
Der unter Flaum auf weichem Pfühl erschlafft;
Der läßt nur so viel Spur in dieser Welt,
Wie in den Lüften Rauch, Schaum in den Wogen.
Wird sie der Geist, wird jeden Feind besiegen,
Wenn ihn der schwere Leib nicht niederhält.
Nicht gnügt’s, von hier gerettet fortzuziehn;
Verstehe mich, so wirst du nie erliegen!“ –
Mein Odem frei, die Brust der Bürd’ enthoben,
Auch rief ich: Fort, denn ich bin stark und kühn!
Von Höckern voll und schwierig zu begehn,
Bei weitem steiler auch, als weiter oben.
Bis eine Stimm’ aus jenem Grund erschollen,
Verworren, wild und schwierig zu verstehn.
- ↑ 21. Im Anfang, als er Dante erschien, Ges. 1. 2.
- ↑ 22 ff. Vgl. Anm. zu V. 137 des vorigen Gesanges.
- ↑ [37. S. zu Ges. 18, 1. Der innere Abhang jeder Bulge ist niedriger als der äußere. Daher V. 40.]
- ↑ [135] [49. ff. Dante meint hier nicht eitlen Ruhm, sondern denjenigen, der im Streben nach dem Höchsten besteht.]
- ↑ 55. Hindeutung auf das beschwerliche Emporsteigen, das ihm auf dem Berg der Reinigung bevorsteht – und darauf, daß es mit größerer Schwierigkeit verbunden ist, die gewohnte Sünde abzulegen, als sie als solche zu erkennen. – [Die ganze Stelle ist Vorbild zu Fegef. 6. 46 ff.]
- ↑ 58. Die Ermahnung Virgils hat gewirkt. Immer noch fühlt sich der Dichter ermattet, aber er will stark sein, und so zeigt er sich stärker, als er sich wirklich fühlt.
- ↑ 61. Die Dichter sind V. 42 wieder auf den Felsendamm getreten, wo jenseits der Brücke über die siebente Abtheilung führt, die Fortsetzung der über der sechsten Abtheilung eingestürzten.
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 134 bzw. 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_134135.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)