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Seite:Dante - Komödie - Streckfuß 128129.jpg

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7
Denn wer Beginn und Schluß von beiden Dingen

Mit reiflicher Erwägung wohl verglich,
Dem konnte Jetzt und Itzt nicht gleicher klingen.

10
Und wie aus einem der Gedanken sich

Der zweit’ entspinnt, so mußt’ ich weiter denken,
Und doppelt faßte Furcht und Schrecken mich.

13
Ich dachte so: Die sind in ihren Ränken

Durch uns gestört, beschädigt und geneckt,
Und müssen drob sich ärgern und sich kränken.

16
Wenn dies zur Bosheit noch den Zorn erweckt,

So werden sie uns nach im Fluge brausen,
Wie wild ein Hund sich nach dem Hasen streckt.

19
Schon fühlt’ ich mir das Haar gesträubt vor Grausen,

Und rückwärts lauschend, rief ich: „„Meister, flieh!
Verbirg uns wo in diesen Felsenklausen;

22
Die Grimmetatzen kommen schon; o sieh,

Sie kommen schon mit einem ganzen Heere!
Als ob sie da schon wären, hör’ ich sie!““

25
Und er zu mir: „Wenn ich ein Spiegel wäre,

Kaum faßt’ ich doch dein äußres Bild so klar,
Als ich dein inneres mir leicht erkläre.

28
Jetzt aber nimmst du auch mein Innres wahr,

Und kommst mir selber schon mit dem entgegen,
Was für uns Beid’ in mir beschlossen war.

31
Und ist der Abhang rechts nur so gelegen,

Daß man zum nächsten Schlund hinunter kann,
So sollen sie umsonst die Flügel regen.“

34
Kaum sprach er’s, als die Teufelsjagd begann,

Und mit gespreizter Schwing’, um uns zu fangen,
Kam, nicht gar fern, der wilde Zug heran.

37
Mein Führer eilte nun, mich zu umfangen,

Der Mutter gleich, die aufwacht beim Getos,
Und nahe sieht die Flammen aufgegangen,

40
[129] Ihr Kind erfaßt, und, nur um dessen Loos

Bekümmert, nicht um ihr’s, enteilt ins Weite
Entkleidet noch und bis aufs Hemde bloß.

43
Daß er herab am harten Felsen gleite,[1]

Streckt’ er sich rücklings an den steilen Hang,
Der jene Bulge sperrt von einer Seite.

46
Nie hat ein Mühlbach sich mit schnellerm Drang

Aufs Mühlenrad durch seine Rinn’ ergossen,
Als jetzt mein Meister, vor Verfolgung bang,

49
Von jenem Felsenhang herabgeschossen,

Mich mit sich nehmend, an die Brust gepreßt,
Und fest umstrickt, als Kind, nicht als Genossen.

52
Kaum stand sein Fuß am Rand der Tiefe fest,

So hörten wir sie über jenem Grunde.
Doch er blieb ohne Furcht; denn nimmer läßt

55
Die ew’ge Vorsicht, die im fünften Runde

Als Diener ihrer Macht sie eingesetzt,
Sie wieder vor aus diesem schmalen Schlunde.

58
Getünchte Leute sahn wir unten jetzt[2]

Im Kreise ziehn mit langsam schweren Tritten,
Matt und erschöpft, von Thränen ganz benetzt.

61
Verhüllt die Augen von Kapuzen, schritten

Sie träg dahin in Kutten, gleich der Tracht
Der Mönch’ im Kloster Clügny zugeschnitten;[3]


  1. [129] 43. Man erinnere sich, daß die Dichter, weil hier keine Brücke über die sechste Abtheilung führt, auf dem Damme hingingen, um nach der Versicherung des Teufels weiterhin die Brücke zu finden Ges. 21 106. An dem Abhang dieses Dammes, welcher die fünfte und sechste Abtheilung trennt, und in die Tiefe der letztern, gleitet also Virgil, seinen Schützling mit den Armen umschließend, hinab. Hier sind sie sicher, weil die Teufel außerhalb des ihnen angewiesenen Wirkungskreises keine Handlung der Amtsgewalt ausüben, ja sich nicht zeigen dürfen.
  2. 58. Die Erscheinung der Heuchler wird uns nicht lange über das Verhältniß ihrer Strafe zu ihrem Zustande im Leben in Zweifel lassen. Die bemalten Leute, ihre Mäntel, die von außen wie Gold glänzen und blenden, aber von innen Blei sind und den Träger selbst unerträglich drücken, ihm jeden freien, raschen Schritt verwehren – die Kapuzen, die ihr wahres Angesicht verhüllen, alles dies wird sich von selbst erklären.
  3. [63. Andre Lesart „in Köln“. Warum Dante das Eine oder das Andere gewählt, ist nicht nachweisbar.]
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 128 bzw. 129. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_128129.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)