So auch die Dämme, die ringsum ihn decken.
Gähnt hohl ein Brunnen, weit, mit tiefem Schlunde,
Von dem wird seines Orts die Rede sein.
Rings so die Dämme, daß der Thäler zehn
Abschnitte bilden in dem tiefen Grunde.
Dahinter wohlverwahrt die Mauern ragen,
Und sicherer den Feinden widerstehn:
Und wie man Brücken pflegt zum andern Strand
Aus solcher festen Schlösser Thor zu schlagen,
Durchschnitten Wäll’ und Gräben erst und gingen
Wie Räderspeichen bis zum Brunnenrand.
So ging links hin mein Meister, und befahl
Auch mir, auf seinen Spuren vorzudringen.
Rechts, wohin Klagen meine Blicke riefen,
Von neuen Peinigern und neuer Qual.
[101] Getheilt, denn hier zog gegen uns die Schaar,
Und dort mit uns, nur daß sie schneller liefen:
Zum Uebergang die Brücke herzurichten
Gewußt, ob großen Andrangs, also zwar,
Die zu Sanct Peter wallen, nach dem Schloß –
Die Andern dort sich nach dem Berge richten.
Von Teufeln nach, von schrecklichen, gehörnten,
Die schlugen wild auf sie von hinten los.
Wie sie, nicht wartend auf den zweiten Hieb,
Mit jähen langen Sprüngen sich entfernten!
Mein Auge jetzt hinab, bei dem ich dachte,
Daß er nicht fremd mir auf der Erde blieb.
Auch hielt mein Führer an, der’s zugestand,
Daß ich zurück erst ein’ge Schritte machte.
Mir mit Gestalt und Angesicht zu geizen,
Doch rief ich, da ich dennoch ihn erkannt:
So mein’ ich, daß Venedigo du seist;[3]
Doch weshalb steckst du so in scharfen Beizen?““
- ↑ 19. Die Dichter gehen immer zur linken Seite in den Höllentrichter hinab. Wenn sie daher im Kreise vorwärts gehen, haben sie zur linken Hand den oberen bereits durchreisten Theil der Hölle, zur rechter den tiefern, ihnen noch unbekannten Kreis. So hier, indem sie auf dem Felsendamm hingehen, der die erste Abtheilung des achten Kreises nach oben zu begrenzt. Man wird, wenn man auch auf diese für die Tiefen des Gedichts sehr wenig bedeutenden Nebensachen Achtung gibt, bemerken, daß der Dichter sie mit einer bewunderungswürdigen Genauigkeit und Consequenz behandelt hat.
- ↑ 25. In dieser ersten Abtheilung werden diejenigen bestraft, welche [101] den Betrug gegen das weibliche Geschlecht verübten, die Kuppler und die Verführer. Beide sind getrennt, so daß sie in zwei Reihen in entgegengesetzter Richtung neben einander hinlaufen. Dies wird versinnlicht durch das Bild der in Rom bei der Feier des Jubeljahres 1300 errichteten Brücke, die der Länge nach in der Mitte getheilt ist, so daß auf der einen Seite diejenigen gehen, die gegen das Castell St. Angelo hin nach Sanct Peter hinwallen, auf der andern die, welche von dort zurückkommen und den Mons Janiculus vor sich sehen. In diesem Entgegenkommen der Kuppler und Verführer wird man ein Bild ihres gegenseitigen Verhältnisses erkennen.
- ↑ 50. Venedigo von Bologna, der, durch Geld gewonnen, seine schöne Schwester Ghisole, verheirathet mit Nicolo degli Alighieri, überredete, sich dem Markgrafen Obiz von Este hinzugeben. – Die Stimme des lebenden Dante ist hell und schön, die der Schatten dumpf.
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 100 bzw. 101. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_100101.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)