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Seite:Dante - Komödie - Streckfuß 096097.jpg

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Nur wenig Schritt hinab am Rande fort,
Den heißen Sand vermeidend und das Feuer.

34
Und unten angelangt, erkannt’ ich dort

Noch etwas vorwärts auf dem Sande Leute,
Nah sitzend an des Abgrunds dunklem Bord.

37
Mein Meister sprach: „Erkennen sollst du heute

Den ganzen Binnenkreis mit seiner Pein,
Drum geh’ und sieh, was jenes Volk bedeute.

40
Doch kurz nur dürfen deine Worte sein.

Ich will indeß mich mit dem Thier vernehmen,
Den starken Rücken uns zur Fahrt zu leihn.“

43
So mußt’ ich einsam mich zu gehn bequemen

Am Rand des siebenten der Kreis’ und nahm
Den Weg zum Sitze der betrübten Schemen.

46
Aus jedem Auge starrte Schmerz und Gram,

Indeß die Hand, jetzt vor dem heißen Grunde,
Jetzt vor dem Dunst dem Leib zu Hülfe kam.

49
So scharren sich zur Sommerzeit die Hunde,

Wenn Floh’ sie oder Flieg’ und Wespe sticht,
Jetzt mit dem einen Fuß, jetzt mit dem Munde.

52
Die Augen wandt’ ich Manchem in’s Gesicht,

Der dort im Feuer saß und heißer Asche;
Und Keinen kannt’ ich, doch entging mir nicht,

55
Vom Halse hänge Jedem eine Tasche,

Bezeichnet und bemalt, und wie voll Gier
Nach diesem Anblick noch ihr Auge hasche.

58
Ich sah, wie ich genaht, ein blaues Thier

Auf gelbem Beutel, wie auf einem Schilde,
Das schien ein Leu an Kopf und Haltung mir.

61
[87] Dann blickt’ ich weiter durch dies Qualgefilde,

Und sieh, ein andrer Beutel, blutig roth,
Zeigt’ eine butterweiße Gans im Bilde.

64
Ein blaues Schwein auf weißem Sacke bot

Sich dann dem Blick, und seine Stimm’ erheben
Hört’ ich den Träger: „Du hier vor dem Tod?

67
Fort! fort! doch wisse, weil du noch am Leben,

Bald findet mir mein Nachbar Vitalian,[1]
Zur Linken seinen Sitz, hier gleich daneben.

70
Oft schrein mich diese Florentiner an,

Mich Paduaner, mir zum größten Schrecken:
Möcht aller Ritter Ausbund endlich nahn!

73
Wo mag doch die Drei-Schnabel-Tasche stecken?“ –

Hier zerrt’ er’s Maul schief und die Zunge zog
Er vor, gleich Ochsen, so die Nase lecken.

76
Schon fürchtet ich, da ich so lang verzog,

Den Zorn des Meisters, der auf Eil’ gedrungen,
Daher ich schnell mich wieder rückwärts bog.

79
Auch fand ich, daß er schon sich aufgeschwungen

Und auf das Kreuz des Ungethüms gesetzt.
Er sprach: „Stark sei dein Muth und unbezwungen!

82
Hinunter geht’s auf solchen Leitern jetzt.

Steig’ vorn nur auf, ich wills inmitten fassen,
Daß dich des Schwanzes Stachel nicht verletzt.“

85
Wie Einer, dem die Nägel schon erblassen[2]

Beim Wechselfieber-Anfall – der nicht wagt,
Ob zitternd schon, den Schatten zu verlassen;


  1. [97] 68–75. [Vitalian, ein reicher Paduaner. „Der Ausbund etc.“ Messer Bojamenti de Bicci, ein florentinischer Ritter und verrufener Wucherer, prophetisch hierher verdammt, obwol noch lebend und ebenfalls höhnisch mit seinem Wappen benannt „Drei-Schnabel-“ oder „Drei-Böcke-Tasche“.] Ueber die V. 74 u. 75 beschriebene Geberde bemerkte Biagioli: der gemeine Mann in Italien pflege auf diese Art auszudrücken, daß etwas scheinbar zum Lobe Gesagtes den entgegengesetzten Sinn habe.
  2. 85–87. Der Schluß der obigen Stelle, im Original, läßt eine zwiefache Deutung zu. Wörtlich übersetzt lautet der Anfang: „Wie derjenige ist, welcher das Schauern des Wechselfiebers so nahe hat, daß seine Nägel schon bleich sind, und ganz zittert,“ – dann folgt: pur guardando il rezzo. Diese letzten Worte können bedeuten: Nur den Schatten erblickend – oder auch dennoch den Schatten bewahrend, [98] im Schatten bleibend. Diese letztere Deutung dürfte die bessere sein. Der Fieberkranke fühlt sich bei der Rückkehr des Anfalls verstört, niedergeschlagen und unentschlossen. Er hat nicht einmal den Muth und die Kraft, den kältern Ort, wo er eben ist, mit einem wärmeren zu vertauschen, und bleibt völlig leidend und unthätig. So Dante hier. Er kann nicht zurückbleiben, da sein Führer das Ungeheuer schon bestiegen hat; gleichwohl fürchtet er sich, dies selbst zu besteigen, bis ihn endlich die Furcht vor dem Vorwurfe des Meisters zum Aufsteigen zwingt.
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 96 bzw. 97. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_096097.jpg&oldid=- (Version vom 22.6.2019)