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Seite:Dante - Komödie - Streckfuß 090091.jpg

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Und Einer sprach: „Wenn dieser lockre Sand

Und unsre Noth uns auch verächtlich machte
Und unser Anseh’n, elend und verbrannt,

31
Doch unsres Namens halb’ das Fleh’n beachte;

Sprich, wer du bist? wie lebend hier erscheinst?
Und was dich sicher her zur Hölle brachte?

34
Der, welchem du mich folgen siehst, war einst,

Muß er auch nackt hier und geschunden rennen,
Von höherm Range wohl, als du vermeinst.

37
Wer hörte nicht Gualdradas’ Enkel nennen,[1]

Der guten? – Guidoguerra, dessen Geist
Und Rath wie Schwert wir all’ als tüchtig kennen?

40
Der hinter mir den lockern Sand durchkreist,

Tegghiajo ist’s, deß Rat man noch auf Erden,[2]
Obwohl man ihm nicht folgt’, als heilsam preist.

43
Ich, ihr Genoß in schrecklichen Beschwerden,

Bin Jacob Rusticucci, und mich ließ[3]
Mein böses, wildes Weib so elend werden.“ –

46
Wenn irgend was vor’m Feuer Schutz verhieß,

So stürzt’ ich gern mich unter sie hernieder,
Auch litt, so glaub’ ich, wohl mein Meister dies.

49
[91] Allein verbrannt hätt’ ich auch meine Glieder,

Drum unterdrückte Furcht in mir die Lust,
Die Jammervollen zu umarmen, wieder.

52
„„Nicht der Verachtung bin ich mir bewußt,““

Begann ich, „„nur des Leids für euch Geplagte,
Und schwer verwinden wird es meine Brust.

55
Ich fühlt’ es, als mein Herr mir Worte sagte,

Durch welche mir es deutlich ward und klar,
Daß, wer hier komme, hoch auf Erden ragte.

58
Ich bin aus eurer Stadt, und nimmerdar

Wird eures Thuns ruhmvoll Gedächtniß schwinden,
Das immer mir auch lieb und theuer war.

61
Ich ließ[WS 1] die Gall’, um süße Frucht zu finden,[4]

Die mein wahrhafter Führer prophezeit,
Doch muß ich erst zum Mittelpunkt mich winden.““[5]

64
„Soll lang noch deine Seele das Geleit

Der Glieder sein,“ so sprach nun Er dagegen,
„Soll leuchten noch dein Ruf nach deiner Zeit,

67
So sage mir, bewohnen, wie sie pflegen,

Wohl unsre Stadt noch Kraft und Edelmuth?
Sind sie verbannt und völlig unterlegen?

70
Denn Borsiere, welcher diese Glut[6]

Seit Kurzem theilt, und dort mit Andern schreitet,
Erzählt’ uns Manches, was uns wehe thut! –“

73
„„Neu Volk und schleuniger Gewinn verleitet[7]

  1. 37–39. Waldrada, eine edle Florentinerin, Tochter des Bellincion Berti, welchen des Dichters Ahn, Cacciaguida, im Paradiese Ges. 15. V. 112 wegen seiner Einfachheit lobt. Ihr Enkel Guidoguerra zeichnete sich durch Tapferkeit in der Schlacht bei Benevent unter den Fahnen Carls von Anjou aus.
  2. 41. Tegghiajo Aldobrandini widerrieth den Guelfen, die Schlacht an der Arbia zu wagen, und sagte ihren unglücklichen Ausgang voraus.
  3. 44. Jacob Rusticucci, ein reicher Florentiner, hatte das Unglück, sich mit einer Xanthippe zu verheirathen, und fiel, als er sich von ihr getrennt hatte, aus Langerweile in das Laster, das hier bestraft wird.
  4. [91] 61. Hindeutung auf den Zweck der Reise. [„Die Galle“ ist die Sünde oder auch speciell die bittre Erinnerung an die politischen Wirren.]
  5. 63. „Mittelpunkt“ der Erde, zugleich tiefste Hölle.
  6. 70. Borsiere, nach Boccaccio ein gewandter und feiner Weltmann. Man wird nicht unbemerkt lassen, wie viele gleichzeitige ausgezeichnete Männer vom Dichter des Lasters beschuldigt werden, das hier bestraft wird.
  7. 73. Biagioli, einer der neueren Commentatoren, nennt es mit Recht einen Meisterzug, der des Dichters Gesinnung lebendiger, als die weitläufigste Beschreibung, ausdrückt, daß er, den Schatten Antwort gebend, sich nicht an sie kehrt, sondern in einen Ausruf ausbricht. In diesem Ausrufe, in dem emporgewandten Gesicht, zeigt sich mit der ansprechendsten Innigkeit das Gefühl des Verbannten, in welchem Liebe für sein Vaterland, Trauer über dessen Zustand und Groll über das ihm widerfahrene Unrecht kämpfen. Nicht minder meisterhaft ist die Art beschrieben, in der die Schatten, sich über jenen Ausruf äußernd, [92] darauf hindeuten, daß die Freimüthigkeit des Dichters nicht ohne üble Folgen für ihn bleiben werde. – Zum Verständniß des Ausrufs ist zu bemerken, daß Florenz zu jener Zeit durch Ansiedelung von Landbewohnern und Fremden an Bevölkerung sehr gewonnen hatte. [aber auch an demokratischen Elementen und unritterlichem Geist.]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: lies
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 90 bzw. 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_090091.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)