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Seite:Dante - Komödie - Streckfuß 080081.jpg

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Wer ist der Große, welcher, diese Glut

Verachtend, liegt, die Blicke trotzig hebend,
Noch nicht erreicht von dieser Feuerflut?““

49
Und jener rief, mir selber Antwort gebend,

Weil er gemerkt, daß ich nach ihm gefragt,
Uns grimmig zu: „Todt bin ich, wie einst lebend.

52
Sei auch mit Arbeit Jovis Schmied geplagt,[1]

Von welchem Er den spitzen Pfeil bekommen,
Den er zuletzt in meine Brust gejagt;

55
Sei auch zu Hilf’ die ganze Schaar genommen,

Die rastlos schmiedet in des Aetna Nacht;
Hilf, hilf, Vulkan! so schrei er zornentglommen,

58
Wie er bei Phlägra that in jener Schlacht,

und machtvoll sei auf mich sein Blitz geschwungen: –
Er wiss’, daß nie ihm frohe Rache lacht –“

61
Da hob so stark, wie sie mir nie erklungen,

Mein Meister seine Stimm’, ihm zuzuschrei’n:
„O Kapaneus, daß ewig unbezwungen[2]

64
Dich Hochmuth nagt, ist deine wahre Pein,

Denn keine Marter, als dein eignes Wüthen,
Kann deiner Wuth vollkommne Strafe sein.“

67
Drauf schien des Meisters Zorn sich zu begüten.

Von jenen Sieben war er, sagt’ er mir,
Die Theben zu erobern sich bemühten.

70
Er höhnt, so scheint’s, noch Gott in wilder Gier,

Und, wie ich sprach, sein Stolz bleibt seine Schande,
Sein Trotz des Busens wohlverdiente Zier.

73
Jetzt folge mir, doch vor dem heißen Sande

Verwahr’ im Gehen sorglich deinen Fuß,
Und halte nah dich an des Waldes Rande.

76
[81] Ich ging und schwieg, und einen kleinen Fluß,

Sah ich diesseits des Waldes sprudelnd quellen,
Vor dessen Röth’ ich jetzt noch schaudern muß.

79
Dem Bach aus jenem Sprudel gleichzustellen,[3]

Der Buhlerinnen schändlichem Verein,
Floß er den Sand hinab mit dunklen Wellen.

82
Und Grund und Ufer waren dort von Stein,

Auch beide Ränder, die den Fluß umfassen,
Drum mußte hier der Weg hinüber sein.

85
„Von allem, was ich noch dich sehen lassen,

Seit wir durch jenes Thor hier eingekehrt,
Das uns, wie Alle, ruhig eingelassen,

88
War noch bis jetzt nichts so bemerkenswerth,

Als dieser Fluß, zu dem du eben ziehest,
Der über sich die Flämmchen schnell verzehrt.“

91
So Er zu mir, und ich darauf: „„Du siehest[4]

  1. 52 ff. [Frechster Hohn und Lästerung der Ohnmacht Jupiters, d. h. nach Dante’s mythologischem Gebrauch, des wahren, von jedem Heiden erkennbaren Gottes. Daher die Strafe. –]
  2. 63. Kapaneus war einer der sieben Heerführer, welche im Bruderkriege zwischen Eteokles und Polynices Theben belagerten. Er wurde, als er die Mauer erstieg, vom Blitze getödtet. Hier stellt er uns ein Bild der verhärteten Sünde des Hochmuths in selbst verschuldeter Ohnmacht dar. Die Worte, die ihm Virgil V. 63–66 zuruft, und die er V. 70–72 noch durch einen Zusatz erläutert, sind eben so großartig und tief gedacht, als wahr.
  3. [81] 79. Der Sprudel bei Viterbo, ein ehedem besuchtes Bad, bei welchem auch viele Buhlerinnen sich einfanden.
  4. 91. Das in dem folgenden Verse gemalte sinnvolle Bild ist in den Hauptzügen aus Daniel Kap. 2. V. 32 ff. entnommen, jedoch vom Dichter anders als von dem Propheten gedeutet. Dies Bild bedeutet hier ohne Zweifel die Zeit mit ihren verschiedenen Altern und der immer sich vermehrenden moralischen Verschlimmerung. Der Standpunkt des Bildes ist Kreta, liegend zwischen den damals bekannten drei Welttheilen. Hierher rettete Rhea ihren Sohn Jupiter, als Saturn – Kronos, die Zeit – schon mehrere seiner Kinder verschlungen hatte, ließ ihn in einer Höhle des Ida aufziehen, und durch Tonwerkzeuge und lautes Jubelgeschrei Getös machen, damit Saturn das Schreien des Kindes nicht hören und nicht auch diesen Sohn auffressen möge. Hieraus erklärt sich, aus welchen Gründen der Dichter, der heidnischen Mythe sich anschließend, das Bild der Zeit eben in Kreta aufgestellt. Die Zeit, die größte der irdischen Mächte, ist eine verborgene, die wir unaufhörlich fühlen, ohne sie zu sehen. Hierauf mag der Standtpunkt des Bildes im Innern des Berges gedeutet werden. Nur das Haupt ist von Gold, die andern Glieder von minder edlen Metallen, die immer geringer werden, je mehr sie dem Boden sich nähern. Ja der eine Fuß, auf welchem sogar die Last hauptsächlich ruht, ist von Thon. Nur das Gold ist ganz und ungespalten – Hindeutung auf der Unschuld und Eintracht des goldenen Zeitalters. Die anderen Metalle sind durch Risse getheilt, wie in der spätern Zeit die Laster das Glück des Friedens zerstörten. Aus diesen Rissen träufeln die Thränen, welche, vereint, sich den Eingang zur Grotte der Hölle brechen und dort die Flüsse bilden, in welchen wir theils die Sünder selbst bestraft, theils die Höllenkreise [82] eingeschlossen sehen. Auf dem Fuße aus Thon stand zu des Dichters Zeit das Bild noch, wie es zu Daniels Tagen stand und in unsern Tagen steht.
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 80 bzw. 81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_080081.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)