So reut’s mich jetzt, daß, weil’s unglaublich schien,
Ich Lust in ihm zu solcher That erweckte.
Der Tag einst neu umfängt, den Fehl zu büßen,
Dort frisch ans Licht dein Angedenken ziehn.“
Die mich zum Sprechen treibt; mag euch’s, wenn mich
Der Drang beim Reden festhält, nicht verdrießen.
Mit zweien Schlüsseln auf- und zugeschlossen,
Und sie so sanft und leis gedreht, daß Ich,
Und bis ich ihm geopfert Schlaf und Blut,
Weiht’ ich dem hohen Amt mich unverdrossen.
Auf Cäsars Haus die geilen Blicke spannte,
Sie, aller Höfe Laster und Sünd’ und Wuth,
Und Alle schürten Friedrichs Gluten an,
Daß heitrer Ruhm in düstres Leid sich wandte.
[75] Durch Sterben aller Schmach sich zu entwinden,
Mir, dem Gerechten, Unrecht angethan.
Stets war’s um meine Treue wohl bestellt
Für ihn, der werth war, ew’gen Ruhm zu finden.
So mög’ er dort mein Angedenken heben,
Das jener Streich des Neids noch niederhält.“
Da sprach der Dichter: „Ohne Zeitverlust
Frag’ ihn, er wird auf Alles Antwort geben.“
Was mir ersprießlich sei, ihm abzufragen;
Ich könnt’ es nicht, denn Leid drückt meine Brust.““
Er frei vollziehn, dann, o gefang’ner Geist,
Beliebe dir, zuvor uns anzusagen,
Und ob den Rinden, die sich um sie legen,
Gleich Gliedern, jemals eine sich entreißt?“
Dann aber ward das Weh’n zu diesem Wort:
„In kurzer Rede sag’ ich dies dagegen:[3]
Sich frevelhaft in wildem Grimm entleiben,
Schickt Minos sie zu diesem Schlunde fort.
In diesem Wald nach Zufall, ohne Wahl,
- ↑ 55. ff. Der hier sprechende Geist ist Peter von Vinea (von Vineis, wie er auch sonst genannt wird), von geringem Herkommen, aber von Kaiser Friedrich dem Zweiten durch langjähriges unbeschränktes Vertrauen geehrt und zu den höchsten Würden emporgehoben. Endlich wurde er unredlichen Eigennutzes, des Einverständnisses mit dem Papste und selbst der Theilnahme an einem Versuche, seinen Wohlthäter zu vergiften, beschuldigt und ins Gefängniß gesperrt, wo er 1249, aus Verzweiflung seinen Kopf an die Mauern stoßend, sich selbst tödtete. – Ob Peter von Vinea der Verbrechen, deren er angeklagt war, wirklich schuldig gewesen, oder ob der Neid, unwillig über seine Größe, sie ihm angedichtet, ist eben so ungewiß, als ob Friedrich, von diesem Verbrechen bereits überzeugt, ihn, wie man erzählt, im Gefängnisse habe blenden lassen. Jedenfalls ist das Zeugniß eines Schriftstellers von Dante’s Scharfsinn und Kenntniß, der so kurze Zeit nach ihm lebte, für seine Unschuld sehr beachtenswerth. Peter war übrigens nicht blos als Staatsmann, sondern auch als Dichter von dem kunstliebenden Friedrich geschätzt. Ein Sonett von ihm, das für das älteste Gedicht dieser Art gehalten wird, theilt Raumer Gesch. d. Hohenstaufen Th. 6 S. 506 mit. –
- ↑ 64. Die Scheelsucht.
- ↑ [75] 93. In den folgenden Versen ist die Strafe, welche diejenigen trifft, die gegen ihr eigenes Leben Gewalt verüben, näher angegeben, und wir werden das oben angedeutete Verhältniß zwischen Verbrechen und Strafe auch in diesen sinnreichen Bildern erkennen. Wie der Selbstmörder, nicht erwartend die naturgemäße Entwickelung des allgemeinen Verhängnisses, sich hinabstürzt in das dunkle Land, so soll er in diesem nach Zufall dahin fallen, wohin ihn der Sturm treibt. Der Geist, den er naturwidrig entfesselte, soll naturwidrig gefesselt bleiben im Baume, benagt von den Harpyen der Gewissensbisse. Und wie er die Schauder seines Todes, sich selbst in seiner Phantasie als Leiche erblickend, in seinem Entschlusse mit sich herumtrug, so soll er sie für immer nahe haben durch den Leib, welcher an dem Baume, der die Seele birgt, einst aufgehangen werden wird.
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 74 bzw. 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_074075.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)