Ließ er in Seufzern diese Worte hören:
„Wer schließt mich von der Stadt der Schmerzen aus?“
Wenn du mich zürnen siehst – ich siege doch,
Wie keck sie auch dort drinnen sich empören.
An einem Thor, nicht so geheim gelegen,[1]
Und ohne Schloß und Riegel heute noch,
Dem Wandrer droht, – doch diesseits schon von dort
Kommt, ohne Leitung, auf den dunkeln Wegen
Als ich den Herrn sah sich zurückbewegen,
Verschloß Virgil die eigne Furcht in sich.
Denn, weit zu schaun, war ihm die Dunkelheit
Der schwarzen Luft und Nebelqualm entgegen.
Wenn nicht – doch hab’ ich nicht sein Wort vernommen?
Er säumt fürwahr doch gar zu lange Zeit.“
[51] Sei durch der Rede Folge der Beginn,
Da beide mir verschieden vorgekommen.
Denn ich erklärte mir vielleicht noch schlimmer,
Als er es war, des halben Wortes Sinn.
Vom ersten Grad, wo nichts zur Qual gereicht,
Als daß erstorben jeder Hoffnungs-Schimmer?““
Geschieht’s, daß auf dem Weg, den wir durchliefen,
Ein andrer meines Grads dies Land erreicht.
Durch der Erichtho Zauberei’n erschien,
Die oft den Geist zum Leib zurückberiefen.
Die Zauberin beschwor in diese Mauer,
Um eine Seel’ aus Judas Kreis zu ziehn.[4]
Am fernsten von des Himmels ew’gem Licht.
Ich weiß den Weg – drum scheuche Furcht und Trauer.
Die qualenvolle Stadt, durch deren Pforten
Man ohne Zorn die Bahn sich nimmer bricht.“
Der hohe Thurm und bannte mit Gewalt
Den Blick aus Feuer auf dem Gipfel dorten.
Die blutbefleckt, grad’ aufgerichtet stunden,
Und Weibern gleich an Haltung und Gestalt,
Mit kleinern Schlangen aber, wie mit Haar,
Und Ottern rings die grausen Schläf umwunden.
Der Sclavinnen der Fürstin ew’ger Plagen, (Hekate)
Sprach: „Die Erinnyen nimm’, die wilden, wahr.
- ↑ 125. Das Thor ist das im Anfange des dritten Gesanges beschriebene, an welchem die Dämonen dem Heilande, als er zur Hölle hinabstieg, den Eingang wehren wollten.
- ↑ IX. 7. Der Vernunft ist es erlaubt, zu sorgen und zu zweifeln. Wenn sie auch einsieht, daß etwas nicht mehr bestehen kann, daß es nach dem durch Weltgeschichte und Offenbarung gleich deutlich ausgesprochenen Willen Gottes als schlecht und verwerflich in Nichtigkeit zerfallen, daß der Kampf gegen das Verwerfliche am Ende ein siegreicher sein muß, so trübt doch wohl das längere Ausbleiben des erwünschten Erfolgs diese Einsicht und schlägt für den Augenblick die Hoffnung nieder. Dieser Zweifel theilt sich V. 13 natürlich auch Dante mit.
- ↑ [51] 22. Virgil ist früher durch Erichtho, eine thessalische Zauberin hinunterbeschworen worden – kennt also die Hölle. Man suche hier keine Allegorie!
- ↑ 27. „Judecca“ eine der untersten Höllenabtheilungen.
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 50 bzw. 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_050051.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)