So sprach mein guter Meister, „Dis genannt,
Die schaarenweis’ unsel’ge Bürger füllen.“
Hab’ ich im Thale jener Stadt Moscheen,[1]
Glutroth, als ragten sie aus lichtem Brand.““
In ihrem Innern, drum im rothen Schein
Sind sie in diesem Höllengrund zu sehen.“
Den Zugang sperrend zu dem grausen Orte;
Die Mauer schien von Eisen mir zu sein.
Nachdem vorher wir auf dem Pfuhle weit
Umhergekreuzt: „Steigt aus, hier ist die Pforte.“[2]
Vom Himmel hergestürzt. Es schrien die Frechen
„Wer wagt’s, noch lebend, voll Verwegenheit
[49] Mein Meister aber ihnen winkend lud
Sie klüglich ein, ihn erst geheim zu sprechen.
Sie sprachen: „Komm allein, laß gehn den Thoren,
Der hier hereindrang mit so keckem Muth.
Allein zurück! – erprob’ er doch, wie Er
Sich durch die Nacht führt, wenn er dich verloren!“
Mich der Verdammten Rede niederdrückte,
Denn ich verzweifelt’ an der Wiederkehr.
Daß ich gerettet ward schon siebenmal,[4]
Deß Schutz mich drohender Gefahr entrückte,
Und darf ich auch nicht weiter vorwärts dringen,
So komm mit mir zurück durch’s dunkle Thal.““
Sprach: „Fürchte nichts; erlaubt hat unsern Gang
Er, dem nichts wehrt, drum wird er wohl gelingen.
So magst du sie mit guter Hoffnung speisen,
Denn nicht verlass’ ich dich in solchem Drang.“
Dem süßen Vater, fühlte Ja und Nein[5]
Beim Zweifelkampf in meinem Haupte kreisen.
Allein er blieb bei jenem Volk nicht lange,
Denn Alle rannten in die Stadt hinein,
Vorm Antlitz zu, und sperrten ihn heraus.
Da kehrt’ er sich zu mir mit schwerem Gange,
- ↑ 71. Moscheen, Tempel der Mahomedaner, deuten hier im Allgemeinen an, daß die, so in der Stadt wohnen, im Leben nicht den Lehren der christlichen Kirche gefolgt sind. Denn eben diese Stadt bildet den sechsten Kreis.
- ↑ 81. Hier treten wir in den sechsten Kreis, in welchem die Ketzer, besonders die Stifter ketzerischer Sekten, bestraft werden. Unter Ketzern versteht der Dichter nicht blos diejenigen, welche von der Lehre der Kirche abweichen, sondern alle diejenigen, welche in Angelegenheiten des Glaubens eine einseitige Richtung verfolgen. Dies ergiebt sich daraus, daß er Ges. 10. V. 13 den Epikur mit seinen Anhängern in diesem Kreise seine Strafe finden läßt. Vgl. Anm. zu Ges. 9 V. 118. – Die gegen Gott empörten Dämonen sind es selbst, die mit eben so viel Vorsicht als Wuth dem von der Vernunft geleiteten Wanderer den Eingang wehren. Die Vernunft selbst wollen sie V. 89. ff. zu sich einlassen, wahrscheinlich um sie gefangen zu nehmen und den Wanderer ihrer Leitung zu berauben, nicht aber den von ihr geleiteten Menschen selbst. Von ihr verlassen, wird dieser gewiß die Beute der Verwirrung, die hier ihre Strafe findet Vergebens bestrebt sich der Repräsentat der Vernunft, mit diesen Dämonen zu verhandeln. Wie sollten auch Vernunftgründe auf diese wüthenden Vernunftlosen wirken? Aber Virgil ahnet, daß die höhere Kraft, welche in der ganzen Weltgeschichte sich als die Vertilgerin der Lüge, als die Beschützerin der Wahrheit zeigt, ihm zu Hilfe kommen werde; und diese Ahnung täuscht ihn nicht, wie wir im folgenden Gesange erfahren werden.
- ↑ [49] 91. [Stets wird daran erinnert, daß nur unter Virgils Leitung die Höllenreise, nur durch Einwirkung von Vernunft und Gewissen die Selbsterkenntniß und Buße möglich sei.]
- ↑ 98. Siebenmal: Ges. 1 bei den Thieren, Ges. 3 bei Charon, Ges. 4, 20, Ges. 5 bei Minos, Ges. 6 bei Cerberus, Ges. 7. bei Plutus, Ges. 8 bei Phlegias.
- ↑ 110. Ob er wiederkehren werde oder nicht.
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 48 bzw. 49. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_048049.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)