Je fortgeschnellt durch hohe Lüfte sah,
Kam durch das Moor ein kleiner Kahn gezogen.
Obwohl von einem Rudrer nur gefahren,
Der schrie: „Verruchte Seele, bist du da?“[1]
So sprach mein Herr, „umsonst ist’s angestimmt;
Wir sind nur dein, so lang wir überfahren.“
Den man ihm angethan zu Schmach und Schaden,
So zeigte Phlegias wild sich und ergrimmt.
Und zu sich setzen hieß er mich sodann,
Und als ich drin war, schien es erst beladen.[3]
Des Nachens Fahrt und furchte tiefre Zeilen,
Als er mit andrer Bürde furchen kann.
Kommt Einer, kothbedeckt, vor mich, und spricht.
„Wer heißt dich vor der Zeit herniedereilen?“
Doch wer bist du, so widrig und abscheulich?““ –
„Ein Heulender, dies sagt dir dein Gesicht.“
[47] Verfluchter Geist, verbleib’ an diesem Ort!
Ich kenne dich, ob auch besudelt gräulich.““
Und mit Gewalt mußt’ ihn mein Herr verjagen,
Der sprach: „Zu andern Hunden, weiche fort!“
Und küßte mich und sprach: „Erzürnter Geist,[4]
Beglückt die Mutter, welche dich getragen!
Von ihm nur einen guten Zug auf Erden,
Daher er hier sich noch in Wuth zerreißt.
Die, Schmach nur hinterlassend, wie die Sau’n
Im Schlamme hier auf ewig wühlen werden.“
Wie er in diesem Schlamm versinken müßte,
Eh’ wir verlassen diesen See voll Grau’n.““
Dir sehen läßt, erfreut dich der Genuß,
Befriedigung gebühret dem Gelüste.“
Die Kothigen mit ihm beschäftigt waren.
Drob ich Gott loben noch und danken muß.
Dann sah ich, selbst sich beißend, auf sich los
Den tollen Geist des Florentiners fahren.
Ich ließ ihn dort, und hört’ ein Schmerzens-Brüllen,
Und macht’, um vorzuschau’n, die Augen groß.
- ↑ 18. [Durch die von Dante häufig angewandte Anrede an die Schatten oder von den Schatten (vgl. 84 ff.) wird der Gang der Erzählung dramatisch belebt.]
- ↑ 19. Phlegias, ein griechischer Fürst, der, als Apollo seine Tochter entführt hatte, aus Rache Delphi eroberte und den Tempel des Gottes verbrannte. Virgil sagt von ihm:
Phlegiasque miserrimus omnes
Adomnet, et magna testatura voce per umbras:
Discite, iustitiam moniti et non temnere divos.
Sehr bedeutungsvoll wird er hier als Fährmann gebraucht, um die Seelen über den Sumpf der Zornwüthigen, durch den Qualm, den dieser Sumpf ausdampft, in die Stadt überzufahren, die von empörten Dämonen vertheidigt und von Mißgläubigen bewohnt wird. Man möge übrigens den Namen, wie im Original, als Jambus lesen. - ↑ 27. Man wird sich erinnern, daß der Kahn nur bestimmt ist, Schatten überzufahren, jetzt aber den Körper eines Menschen aufnehmen muß.
- ↑ [47] 44. Vielleicht will der Dichter mit dieser Liebesäußerung Virgils andeuten, daß sein eigner Zorn ein edler, selbstbewußter, begründeter, kein Fehler sei, wegen dessen die Verdammten in diesem Schlamm wühlen; vielleicht auch, daß er zur rechten Zeit die Zornwuth in ihren wahren Gestalt kennen lerne, um sich selbst vor ihr zu hüten. Mit dieser letzteren Auslegung stimmen auch V. 52–60 überein, in welchen wir sonst nur eine unedle Lust an fremden Qualen erkennen müßten. Wir möchten aus dieser Stelle, besonders aus dem 60sten Verse schließen, daß der Dichter selbst zum Jähzorn sehr geneigt gewesen sei.
- ↑ 61. Philippi Argenti nach Boccaccio aus dem Geschlechte der Cavicciuli, reich, angesehen und von großer Körperkraft, von der geringsten Veranlassung zu den tollsten Ausbrüchen des Zorns hingerissen.
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 46 bzw. 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_046047.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)