In andrer Erstgeschaffnen Seligkeit
Läßt sie, nichts achtend, ihre Sphäre rollen. –
Die Stern’, aufsteigend, als ich fortgeschritten,[1]
Gehn abwärts jetzt, und unser Weg ist weit.“
An einem Quell, der siedend dort entspringt,
Deß Wellen fort durch einen Graben glitten.
Wenn man ihr folgt, hinab zu rauhen Wegen,
Durch die man mit Beschwerde niederdringt.
Dort, wo der traur’ge Fluß vom Laufe ruht,
Am Fuß des gräulichen Gestads gelegen.
Und sah im Sumpfe Leute, koth’ge, nackte,
Zugleich des Jammers Bilder und der Wuth.
Mit Haupt und Brust und Füßen auf sich ein,
Indem man wild sich mit den Zähnen packte.
Die Seelen derer, so der Zorn bezwungen.
Auch unter’m Wasser müssen viele sein;
Dann steigen Blasen auf von ihrer Noth,
[45] Drum sieh von Kreisen diese Flut durchschwungen.
Wir waren elend einst im Sonnenschimmer,
Das Herz voll Feu’r und Tücke bis zum Tod,
Dies Lied klingt gurgelnd vor aus ihrem Schlund,
Stets schluckend, enden sie die Worte nimmer.
Wir an dem schmutz’gen Teich in weitem Bogen,
Den Blick gewandt zum Volk mit Schlamm im Mund,
Dem Fuß des hohen Thurms uns konnten nahn,[4]
War unser Blick zur Zinn emporgeschlagen,
Als Rücksignal ein andres, so entlegen,
Daß es das Auge kaum noch konnt’ erfahn.
„„Was ist dies? welch ein Zeichen wohl bezweckt
Das dritte Feu’r? Wer sind sie, die’s erregen?““
Was unsrer harrt, dort auf den schmutz’gen Wogen,
Wenn dir’s der Qualm des Sumpfes nicht versteckt.“
- ↑ 98. Die Worte: als ich fortgeschritten, weisen auf die Worte im letzten Verse des ersten Gesanges: Da schritt er fort – (im Original: quando mi mossi – allor si mosse). Als er fortschritt, verging der Tag, wie wir im ersten Verse des zweiten Gesanges lesen: es war also in der Zeit der Tag- und Nachtgleiche, die sechste Stunde nach Mittag vorbei. Da nun die Sterne die Hälfte ihrer Bahn über unserm Halbkreis in sechs Stunden vollenden, so muß jetzt, da die bei der Abreise aufgestiegenen Sterne wieder abwärts gehen, Mitternacht vorbei sein. Die Reise des Dichters hat daher bis jetzt sechs Stunden gedauert.
- ↑ 100. An dem Rande, welcher gegen den Abgrund zu den vierten Kreis begränzt, steigt der Dichter in den fünften hinab, in welchem diejenigen bestraft werden, welche der Zorn bezwungen hat. [Der Siedequell, welcher den Sumpf bildet, ist Sinnbild des Zorns, der darin gestraft wird und der darin sein wüstes Erdentreiben fortsetzt.]
- ↑ [45] VIII. 1. Aus den Worten, so fahr’ ich fort zu sagen (io dico, seguitando) schließen Einige, daß Dante die ersten sieben Gesänge in Florenz vor der Verbannung, die folgenden aber nach derselben gedichtet habe. Andere behaupten, das ganze Werk sei im Exil entstanden.
- ↑ 2. Der Thurm, von welchem das Zeichen der zwei Flammen gegeben wird, steht diesseits des Sumpfes und mit einem andern jenseits in Verbindung, von welchem eine Flamme aufsteigt, um zu erkennen zu geben, daß das erste Signal bemerkt worden sei und der Fährmann komme. Die zwei Flammen deuten wahrscheinlich auf die Zahl der Ankömmlinge.
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 44 bzw. 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_044045.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)