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Seite:Dante - Komödie - Streckfuß 042043.jpg

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Ging’s beiderseits dann nach der andern Seite,
Indem sie beid’ ihr schändlich Schmähwort schrien.

34
Dann wandte Jeder sich zum neuen Streite,

Sobald er seines Zirkels Hälft’ umkreist;
Und ich, der ich den Armen Mitleid weihte,

37
Sprach: „„Treuer Meister; weise meinem Geist:

Wer ist dies Volk? die, links hier, scheinen Pfaffen!
Ist’s Jeder, der uns eine Glatze weist?““

40
Und Er: „Dies sind die Blinden, Geistes-Schlaffen.

Sie wußten in der Welt zum Geben nie,
Und nie zum Sparen sich ein Maß zu schaffen.

43
Und dies erhellt’ aus dem, was Jeder schrie,

Wenn sie im Kreis gelangt zu den zwei Orten,
Wo trennt der Gegensatz des Lasters sie.

46
Die mit den Glatzen waren Pfaffen dorten:

Auch giebt’s hier manchen Papst und Cardinal,
Der einst dem Geiz aufthat des Herzens Pforten.

49
Drauf sprach ich: „„Meister, kenn’ in dieser Zahl[1]

Ich Keinen, der im Schmutz so eitlen Strebens
Sich hier erworben hat die ew’ge Qual?““

52
Und Er zu mir: „Dein Suchen ist vergebens,

Unkenntlich macht sie ihr verdientes Loos,
Die Lichtentfremdung ihres schmutz’gen Lebens.

55
So kommen stets zum Stoß und Gegenstoß,

Bis sie erstehn – die mit verschnittnen Haaren,
Die mit geschlossner Faust – dem Grabes-Schooß.

58
Versetzt hat sie schlecht Geben und schlecht Sparen

Von jener heitern Welt in diesen Zwist;
Nicht sag’ ich welchen, denn du kannst’s gewahren.

61
Sieh hier, mein Sohn, welch eitles Ding es ist

Um jenes Gut Fortunens, das die Leute
Zum Kampfe reizt und zu Gewalt und List.

64
[43] Gieb diesen Müden alles Gold zur Beute,

Das jemals war und ist auf eurer Welt,
Und keine Stunde Ruh giebt’s ihnen heute.“

67
Und ich: „„Mein Meister, sprich, wenn dir’s gefällt,

Wer ist Fortuna doch, die, wie ich hörte,
In ihren Klau’n der Erde Güter hält?““

70
Und er zu mir: „O Arme, Trugbethörte!

Unwissende, zum Schlimmsten stets geneigt!
O daß mein Spruch jetzt deinen Wahn zerstörte!

73
Er, dessen Weisheit Alles übersteigt,[2]

Erschuf die Himmel und gab ihnen Leitung,
Daß jeder Theil sich jedem leuchtend zeigt,

76
Durch seines Lichts gleichmäßige Verbreitung.

So gab er schaffend auch die Dienerin
Dem Erdenglanz zur Führung und Begleitung.

79
Von Volk zu Volk, von Blut zu Blute hin,

Bringt sie das eitle Gut, das nirgends dauert,
Und kümmert nicht sich um der Menschen Sinn.

82
Dies Volk befiehlt, ein andres dient und trauert,

Wie jene Führerin das Urtheil spricht,
Die, wie die Schlang’ im Gras, verborgen lauert.

85
Nichts gegen sie hilft eurer Weisheit Licht.

Sie sorgt, erkennt, vollzieht in ihrem Reiche,
Und weicht darin den andern Göttern nicht.

88
Nie haben Stillstand ihre Wechselstreiche;

So macht sie, von Nothwendigkeit gejagt,
Aus Reichen Arme, dann aus Armen Reiche.

91
Sie ist’s, die ihr an’s Kreuz oft wüthend schlagt,

Von der ihr oft, wenn ihr, anstatt zu schmollen,
Sie loben solltet, fälschlich Böses sagt.

94
Doch sie, die Sel’ge, hört nicht euer Grollen;

  1. 49. Dies erläutert dasjenige, was wir oben bei V. 16 angedeutet. Kein namhafter Verbrecher ist unter diesen Leuten. Nur solche sind es, welche durch ihre zwecklose und gemeine Neigung irgend einen Namen zu erwerben verhindert worden sind. Alles verschwenden bis auf’s Letzte heißt im Italienischen sprichwörtlich dissipare in sino ai peli. – Daher die Verschwender hier durch die verschnittenen Haare bezeichnet werden. Die geschlossene Faust des Geizigen erläutert sich von selbst.
  2. [43] 73. Wir werden im dritten Theile erfahren, wie die Sterne in den verschiedenen Kreisen des Himmels Kräfte von oben empfangen, um nach unten damit nach allen Seiten hin zu wirken, und wie diese Wirkung von seligen Lenkern (beati motori) geregelt wird (Paradies Ges. 2. V. 112 – 129). Eine solche von Gott zur Vertheilung des Erdengutes bestimmte Lenkerin ist Fortuna, welche wir in der obigen schönen Stelle bezeichnet sehen. Sie gehört zu den Intelligenzen, wie die scholastische Sprache sie nennt, nach gewöhnlicher Sprache zu den Engeln, welche Gott vor andern Wesen zu seinen Dienern erschuf.
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 42 bzw. 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_042043.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)