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Seite:Dante - Komödie - Streckfuß 038039.jpg

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Zur Qual für schnöde Schuld des Gaumens muß,
Du siehst’s, auf mich sich ew’ger Regen gießen.

55
Und mich allein nicht züchtigt dieser Guß.

Nein, alle diese leiden gleiche Plagen
Für gleiche Schuld.“ – So seiner Rede Schluß.

58
Und ich: „„Mich haben, Ciacco, deine Klagen,

Zum Mitleid und zu Thränen fast gerührt.
Allein, wenn du es weißt, so magst du sagen,

61
Wohin noch unsrer Stadt Parteiung führt?[1]

Ob wer gerecht ist? was in diesen Zeiten
In ihr die Glut der wilden Zwietracht schürt?““

64
Und Er darauf zu mir: „Nach langem Streiten[2]

Kommt’s dort zu Blut, dann treibt die Waldpartei
Die andre fort mit vielen Grausamkeiten.

67
Doch in drei Sonnen ist’s mit ihr vorbei,

Neu günstig sind der andern die Gestirne,
Durch Eines Mannes Macht und Heuchelei.

70
Hoch hebt sie dann auf lange Zeit die Stirne

Und drückt den Feind, ob auch, zur Wuth empört,
Er sich beklag’ und schäm’ und sich erzürne.

73
Zwei sind gerecht dort, aber nicht gehört.[3]

Neid, Geiz und Hochmuth – diese drei sind Gluten,
In deren Brand sich jedes Herz zerstört.

76
[39] Als hier des Schatten Jammertöne ruhten,

Sprach ich zu ihm: „„Noch weiteren Bericht
Erlaube mir, dir bittend anzumuthen.

79
Tegghiajo, Farinata, treu der Pflicht,

Arrigo, Rusticucci, Mosca – sage! –
Und Andre, nur auf wackres Thun erpicht,

82
Wo sind sie? welches ist ihr Loos? Ich trage

Verlangen, hier ihr Schicksal zu erspähn,
Ob’s Himmelswonne sei, ob Höllenplage?““

85
Und Er: „Sie stürzte mancherlei Vergehn

Zu schwärzern Seelen nach den tiefern Gründen.
Steigst du so tief, so wirst du alle sehn –

88
Kehrst du zur süßen Welt aus diesen Schlünden,

Bring’ ins Gedächtniß dann der Menschen mich.
Mehr sag’ ich nicht, mehr darf ich nicht verkünden.“

91
Scheel ward sein grades Aug’ und wandte sich

Nach mir; dann sank er mit dem Haupte nieder,
So daß er ganz den andern Blinden glich.[4]

94
Drauf sprach mein Führer: „Nie erwacht er wieder,

Bis er vor englischer Posaun’ ergraust,[5]
Und der Gewalt, dem Sündervolk zuwider.

97
Zum Grab kehrt Jeder, wo sein Körper haust,

Wird neu mit Fleisch und mit Gestalt umgeben
Und hört, was ewig wiederhallend braust.“ –

100
Indem langsamen Schritt’s wir weiter streben,

Durch’s wüst’ Gemisch von Schatten und von Flut.
Besprachen wir, doch kurz, das künft’ge Leben.

103
Drum ich: „„Mein Meister, wird der Qualen Wuth[6]

  1. [61. Hier, wie oft, berührt Dante die politischen Verhältnisse, besonders seiner Vaterstadt, klagend, rügend und prophezeiend.]
  2. 64. Woher den Schatten die Fähigkeit kommt, Künftiges vorauszusehen, erfahren wir genauer, wenn auch Ges. 10. V. 100 über diese Fähigkeit gesprochen wird. Die Weißen (die Waldpartei) behielten nach der Zeit, in welche Dante seine heilige Reise verlegt, die Oberhand, bis durch Karl von Valois, der V. 69 bezeichnet ist, sie in den Jahren 1302 und 1303 unterlagen. Diese Stelle ist als Beweis gegen die Vermuthung aufgestellt worden, daß Dante die sieben ersten Gesänge vor seiner Verbannung gedichtet habe. Da sie aber leicht später eingeschaltet worden sein kann, so beweist sie nicht, was sie soll.
  3. 73. Wer unter den zwei Gerechten verstanden sei, ist nicht mit Gewißheit auszumitteln. [Genug, der Dichter kannte eben nur zwei gerechte, parteilose Männer in seiner Vaterstadt.]
  4. [39] 93. Blinde d. h. am Geist.
  5. 95. Bis zum Weltgericht. Die Gewalt, die den Sündern zuwider (feindlich) ist, ist die des ewigen Richters. „Was ewig wiederhallend braust“ ist dessen Richterspruch.
  6. 103. Nach dem großen Urtheilsspruche beim Weltgerichte werden die Geister ihre Körper wieder erhalten. Sie werden also dann in der Verbindung beider Bestandtheile des Menschen, des Leibes und der Seele, vollkommener als jetzt, da sie nur Schatten sind, eben darum aber auch nach der Lehre des Meisters, des Aristoteles, größern Schmerz zu empfinden fähig sein. Auch die Verdammten erwarten dann vollkommener zu werden, folglich mehr zu leiden, da sie die wahre Vollkommenheit nicht erreichen können.
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 38 bzw. 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_038039.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)