Vordem mit Blut getüncht durch ihre Schuld,
Wär’ uns der Fürst des Weltenalls geneigt,
Denn dich erbarmet unsres Weh’s Beschwerde.
So reden wir, so leihn wir euch die Ohren,
Wenn nur, wie eben jetzt, der Sturmwind schweigt.
Wo seinen Lauf der Po zur Ruhe lenkt,
Bald mit dem Flußgefolg im Meer verloren.
Fing diesen durch den Leib, den Liebreiz schmückte,
Der mir geraubt ward, wie’s noch jetzt mich kränkt.
Ergriff für diesen mich mit solchem Brand,
Daß, wie du siehst, kein Leid ihn unterdrückte.
Kaina harret deß, der uns erschlagen.“[2]
Der Schatten sprach’s, uns kläglich zugewandt.
Neigt’ ich mein Angesicht und stand gebückt.
„Was denkst du?“ hört’ ich drauf den Dichter fragen.
Welch süßes Sinnen, liebliches Begehren
Hat sie in dieses Qualenland entrückt?““
„„Franziska,““ so begann ich jetzt, „„dein Leid
Drängt mir ins Auge fromme Mitleidszähren.
Wodurch und wie verrieth die Lieb’ euch Beiden,
Den schüchtern leisen Wunsch der Zärtlichkeit?““
Als der, dem schöner Zeiten Bild erscheint
Im Mißgeschick? Dein Lehrer mag’s entscheiden.[3]
Zu wissen, was hervor die Liebe brachte,
So will ich’s thun, wie wer da spricht und weint.
Von Lancelot, wie ihn die Lieb’ umschlang.
Wir waren einsam, ferne vom Verdachte.
Trieb unsre Blick’ und macht’ uns oft erblassen,
Doch eine Stelle war’s, die uns bezwang.
Auf das den Mund gedrückt der Buhle hehr,
Da naht’ Er, der mich nimmer wird verlassen,
Ein Kuppler war das Buch, und der’s verfaßte – [5]
An jenem Tage lasen wir nicht mehr.
Sich kaum vor Weinen, und mir schwand der Sinn
Vor Mitleid, daß ich wie im Tod erblaßte,
Vor Mitleid um die Zwei, das so mich quälte,
Daß das Bewußtsein mir vor Schmerz zerfloß,
- ↑ 97. Die hier bezeichnete Stadt ist Ravenna, in deren Nähe der Po, nachdem er vorher viele kleine Flüsse aufgenommen, ins Meer fällt.
- ↑ 107. Kaina diejenige Abtheilung des letzten Kreises der Hölle, in welcher die Mörder und Verräther ihrer Verwandten bestraft werden. Als Dante dies schrieb, lebte wahrscheinlich Franziska’s Gemahl noch.
- ↑ 123. Unter dem Lehrer ist wahrscheinlich Boethius gemeint, in [35] der Stelle seines Buches de consolatione: in omni adversitate fortunae infelicissimum genus infortunii est, fui se felicem.
- ↑ 127. Lancelot, der Held eines zu seiner Zeit berühmten Ritter-Romans, einer der Ritter der Tafelrunde und Liebhaber der Königin Ginevra.
- ↑ 137. Eigentlich Galeotto. So hieß im Roman der Vermittler zwischen Lancelot und Ginevra. Zu Dante’s Zeit sollen die Unterhändler in Liebesangelegenheiten allgemein mit diesem Namen belegt worden sein.
- ↑ VI. 1 – 3. Dante beschreibt nicht, wie er vom zweiten Kreise in den dritten gekommen, wahrscheinlich um anzudeuten, daß er auch nach seinem Erwachen von der Ohnmacht sich noch zu tief erschüttert gefunden habe, als daß er auf den Weg Achtung hätte geben sollen. Erst die neuen Strafen ziehen seine Aufmerksamkeit auf sich.
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 34 bzw. 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_034035.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)