Der durch die Luft hier bebt im ewigen Thal,[1]
Nicht Klaggeschrei, nur Seufzer dumpf und leise.
Der Kinder, Männer und der Frau’n, in Schaaren,
Die viele waren und von großer Zahl.
Zu welchen Geistern du gekommen bist?
Bevor wir fortgehn, will ich offenbaren,
Nicht ihr Verdienst, da sie der Tauf’ entbehrten,
Die Pfort’ und Eingang deines Glaubens ist.
Sie doch den Höchsten nicht, wie sich’s gebührt;[2]
Und diese Geister nenn’ ich selbst Gefährten.
Daß wir in Sehnsucht ohne Hoffnung leben,
Ward uns Verlornen nur als Straf’ erkürt.“
Denn Leute großen Werthes zeigten sich,
Die unentschieden hier im Vorhof schweben.
(Ich wollte mich in jenem Glauben stärken,
Vor dessen Licht des Irrthums Nacht entwich,)
Durch fremd Verdienst von hier zur Seligkeit?““ –
Er schien des Worts versteckten Sinn zu merken,
Da ist ein Mächtiger hereingedrungen.
Bekrönt mit Siegesglanz und Herrlichkeit.
Auch Abel’s, Noah’s; und auch Moses hat,
Der Gott gehorcht, mit ihm sich aufgeschwungen.
Jakob, sein Vater, seine Söhne schieden,
Und Rahel auch, für die so viel er that.
Und wissen sollst du nun: Vor diesem war
Erlösung keinem Menschengeist beschieden.“
So daß wir unterdeß den Wald durchdrangen,
Den Wald, mein’ ich, der dichten Geisterschaar.
Als ich ein Feu’r in lichten Flammen sah,
Die dort im halben Kreis die Nacht bezwangen.[6]
Doch einen Kreis von ehrenhaften Leuten,
Die diesen Platz besetzt, erkannt’ ich da.
Beliebe, wer sie sind, und was sie ehrt
Und von den Andern trennt, mir anzudeuten.““
Der oben wiederklingt in deinem Leben,
Ward ihnen hier vom Himmel Huld gewährt.“
Der hohe Dichter, auf, jetzt zum Empfang![7]
Sein Schatten kehrt, der jüngst sich fortbegeben.
- ↑ 26. „Im ew’gen Thal.“ Alles in der Hölle ist ewig.
- ↑ 38. Diejenigen, die vor Christo gelebt, haben Gott nur dann gebührend geehrt, wenn sie an den künftigen Heiland geglaubt haben. Vgl. Paradies Gesang 32; auch Ges. 20, V. 103 f.
- ↑ 40. Diejenigen, die zwar menschlich würdig, aber ohne Glauben leben, können alles Irdische erlangen, nur die Ahnung und Hoffnung des höchsten Lichtes bleibt ihnen verschlossen. Und da Alles, was die Erde gibt, nie das Gemüth befriedigt, so verfließt ihr Leben in ewig ungestillter Sehnsucht nach einem unbekanntem Ziele. So finden wir die Seelen in diesem Kreise, welcher noch nicht zum eigentlichen Straforte gehört, sondern den Vorhof desselben bildet. Sie genießen die Schönheit der Erde wieder in dem Grün der Wiese und in dem schönen Flusse; sie genießen die Kunst, die das Leben verschönt; auch der Schein des Lichtes fehlt ihnen nicht, – aber es ist nicht das himmlische, und so bleiben sie in der Mitte aller von der Milde des Himmels ihnen gestatteten Genüsse, selbst im Bewußtsein eines würdigen Lebens, dennoch Verdammte.
- ↑ [46. Dante läßt durch Virgil, der ja selbst vor Christo starb, die Lehre von Christi Höllenfahrt vortragen, wodurch die dortigen Erzväter [27] auferstanden. Er nennt diese Lehre V. 47 eine Stärkung des Glaubens.
- ↑ 67. Nicht weit vom Abhang, der zwischen der Vorhölle und diesem ersten Kreis liegt.
- ↑ 69. Fast unübersetzbar. Eigentlich eine erleuchtete Halbkugel.
- ↑ 80. Virgil wird von den Andern begrüßt.]
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 26 bzw. 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_026027.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)