Sandwirbel, von den Stürmen umgeschwungen,
Durch dieser ewig schwarzen Lüfte Kreis.
Sprach: „„Meister, welch Geschrei, das sich erhebt?
Wer ist doch hier von Qualen so bezwungen?
Kommt von dem Jammervolk, geweiht dem Spotte,
Das ohne Schimpf und ohne Lob gelebt.
Von Engeln, die für sich nur blieb im Strauß,
Nicht Meuterer und treu nicht ihrem Gotte.
Und da durch sie der Sünder Stolz erstünde,
Nimmt sie nicht ein der tiefen Hölle Graus.“
Was ist das Leiden, das so hart sie drückt?““
Und Er: „Vernimm, was ich dir kurz verkünde.
Im blinden Leben, trüb und immer trüber,
Scheint ihrem Neid jed’ andres Loos beglückt.
Von Recht und Gnade werden sie verschmäht.
Doch still von ihnen – schau und geh’ vorüber.“
Ein Fähnlein ziehn, so eilig umgeschwungen,
Daß sich’s zum Ruhn, so schien mir’s, nie versteht.
So viele Leute, daß ich kaum geglaubt,
Daß je der Tod so vieles Volk verschlungen.
Auch Jenes Schatten, der aus Angst und Zagen[2]
Sich den Verzicht, den großen, feig erlaubt.
Dies sei der Schlechten jämmerliche Schaar,
Die Gott und seinen Feinden mißbehagen.
War nackend und von Flieg’ und Wesp’ umflogen,
Und ward gestachelt viel und immerdar.
In Streifen durch das Antlitz bis zum Grund,
Wo ekle Würmer draus sich Nahrung sogen.
Erblickt’ ich Leut’ an einem Stromgestade,
Und sprach: „„Jetzt thu’, ich bitte, Herr, mir kund,
Wie ich beim düstern Dämmerlicht ersehn,
So eilig weiter ziehn auf ihrem Pfade?““
Am Acheron – dort wird sich Alles zeigen,
Wenn wir am traur’gen Ufer stille stehn.“
Aus Furcht, daß ihm mein Fragen lästig sei,
Und ich gebot mir bis zum Strome Schweigen.
- ↑ 34. Wir müssen hier, ehe wir weiter vorschreiten, zuvörderst die Ansicht des Dichters über die von ihm dargestellten Höllenstrafen erläutern. Im Fegefeuer Ges. 25, V. 88 u. ff. beschreibt er, wie der Scheinleib, der Schatten, welcher die Gestalt der Seelen darstellt, gebildet wird. Dieser Schatten folgt den Bewegungen der Seele, und verleiht jeder Empfindung derselben ein deutliches Bild. Seelenleiden also sind es, die wir in den körperlichen Qualen der Verdammten ausgedrückt sehen, und wir werden im weiteren Fortschreiten erkennen, wie diese Leiden dem Fehler und Laster entsprechen, zu dessen Bestrafung sie bestimmt sind. Hier also zuerst jene Werth- und Charakterlosen, jene Elenden, die im Leben weder gut noch böse gewesen, vermischt mit den Engeln, die im Kampfe des Satans gegen Gott sich neutral verhalten haben – das verächtlichste Vergehen, besonders in Zeiten politischer Parteiung, wie die unsers Dichters waren. [21] Ausgestoßen aus dem Himmel, werden sie auch in der Hölle nicht aufgenommen, weil neben diesen Jämmerlichen die Verdammten selbst sich stolz fühlen würden (V. 40–42). Offenb. 3, 14. Ihr Zustand zwischen Hölle und Erde entspricht dem ihres Lebens. Ohne Rast und Haltung folgen sie einer Fahne, die jeder Windeshauch hier- und dorthin bewegt (V. 52–55). Kleine Leidenschaften stacheln und peinigen sie immerfort, wie hier das Geschmeiß der Insekten, und was diese aus ihnen hervorbringen, fördert nur das Gemeinste und Schlechteste (67–69).
- ↑ [59. Cölestin V., welcher 1291, durch den dem Dante verhaßtesten Papst Bonifaz VIII. bewogen, dem heiligen Stuhl entsagte und in seine Einsiedelei zurückkehrte. Dante sah dies als ein sträfliches Vergraben seines Pfundes an.]
- ↑ 73–81. Dante fragte, von welcher Art die sind, die so eilig [22] zum Strome ziehen? Diese Frage läßt Virgil unbeantwortet, weil es Sünder aller Art sind, und sich das Nähere bald von selbst ergeben wird. Mit großer künstlerischer Geschicklichkeit läßt der Dichter den Augenschein sprechen, um V. 121 ff. weit kürzer und eindringlicher, als es hier möglich gewesen wäre, Auskunft zu geben. Wenn Dante in seiner Beschämung über die voreilige Frage und in der Folge in seinem ganzen Benehmen gegen Virgil ein menschlich schönes Verhältniß des Jüngers zum Meister trefflich darstellt, so verleiht dies dem wunderbaren, keiner Gattung angehörigen, aber alle Gattungen umfassenden, das Allgemeine und Besondere gleich tief und wahr ergreifenden Gedichte oft beiläufig den eigenthümlichen Reiz des Dramas.
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 20 bzw. 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_020021.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)