Zum Inhalt springen

Seite:Dante - Komödie - Streckfuß 012013.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
103
Nicht wird nach Land und Erz ihr Hunger glühn,

Doch wird sie nie an Lieb’ und Weisheit darben;
Inmitten Feltr’ und Feltro wird sie blühn,

106
Zu Welschlands Heil, deß Ruhm und Glück verdarben,

Obwohl vordem Camilla für dies Land,[1]
Euryalus, Turnus und Nisus starben.

109
Nicht wird sie ruhn, bis sie dies Thier verbannt;

Sie wird es wieder in die Hölle senken,
Von wo’s der erste Neid heraufgesandt. –[2]

112
Du folg’ jetzt mir zu deinem Heil – mein Denken[3]

Und Urtheil ist’s – ich will dein Führer sein
Und dich durch ew’gen Ort von hinnen lenken.

115
Dort wirst du hören der Verzweiflung Schrei’n, (Hölle)

Wirst alte Geister schau’n, die brünstig flehen
Um zweiten Tod in ihrer langen Pein;

118
Wirst Jene dann im Feu’r zufrieden sehen (Fegfeuer),

Weil sie verhoffen, zu dem sel’gen Chor, (Paradies)
Sei’s wann es immer sei, noch einzugehen.

121
Und willst du auch zu diesem dann empor,[4]

Würd’ger als ich, wird eine Seel’ erscheinen,
Die geht, schied ich, als Führerin dir vor.

124
[13] Denn Jener, der dort oben herrscht, läßt Keinen (Gott)

Eingehn, von mir geführt, vor seinen Thron,
Weil ich mich nicht verbunden mit den Seinen.

127
Allwärts gebeut er; doch er trägt die Kron’

Nur dort; dort ragen seines Sitzes Zinnen –
O selig, wen er wählt, daß er dort wohn’!

130
„„Laß, Dichter,““ rief ich, „„dich mein Flehn gewinnen!

Bei jenem Gotte, den du nicht erkannt,
Um Schlimmem hier und Schlimmerm zu entrinnen,

133
Bring’ an die Orte mich, die du genannt,[5]

Und laß mich bald Sanct Petri Pforte sehen,
Und Jene, wie du sprachst, zur Qual verbannt.““

136
Er ging; ich säumte nicht, ihm nachzugehen.
_______________

Zweiter Gesang.
Einleitung: Beatrix. Lucia.

1
Der Tag verging, das Dunkel brach herein,[6]

Und Nacht entzog die Wesen auf der Erden
All’ ihren Müh’n, da rüstet’ ich allein

4
Mich zu dem harten Krieg und den Beschwerden

Des Wegs und Mitleids, und jetzt soll ihr Bild
Gemalt aus sicherer Erinn’rung werden.

7
O Mus’, o hoher Geist, jetzt helft mir mild!

Erinn’rung, die du schriebst, was ich gesehen,
Hier wird sich’s zeigen, ob dein Adel gilt!


  1. 107. 108. Camilla und Turnus starben, nach der Aeneide, bei der Vertheidigung, Euryalus und Nisus, bei der Eroberung Latiums.
  2. 111. „Der erste Neid“ der Satan. Weisheit 2, 24.
  3. 112 ff. [Um aus dem dunkeln Wald der Irrthümer und Sünden heraus zur Buße, zur Erkenntniß und zeitlichen Glückseligkeit zu gelangen, reicht die Vernunft, zugleich die rechte politische Einsicht und Weltordnung aus, indem sie uns das Laster, den falschen Zustand und seine Folgen zeigt (Hölle) und uns dadurch selbst reinigt und läutert (Fegfeuer).]
  4. 121. Weiter aber reicht die Vernunft nicht. Das Göttliche, die [13] ewige Glückseligkeit, nach welcher der gereinigte Geist strebt, und welche die Ahnung ihm verspricht, läßt uns nur der Glaube, und nur der christliche Glaube erkennen. Virgil, welchem dieser Glaube fremd geblieben, vermag daher nicht, den Dichter bis in die Stadt Gottes zu leiten. Er wird ihn, wenn er ihn, so weit die Vernunft reicht, gebracht hat, der Führung der Beatrix übergeben, unter welcher wir uns die himmlische Gnade, auch die beseligende Erkenntniß, das Anschauen Gottes im Gemüthe selbst – denken dürfen.
  5. 133. Dem heiligen Petrus sind die Schlüssel übergeben, welche die Pforte der Seligkeit aufschließen. Es ist gleichgültig, ob der Dichter unter dem Thore Petri den unmittelbaren Eingang des Paradieses oder das im Fegefeuer Ges. 9 V. 73 Beschriebene gemeint habe, da diejenigen, die durch das letztere gehen, der Seligkeit gewiß sind.
  6. II. 1–13. Ueber den Erwägungen der Vernunft ist der Tag verflossen. Die Nacht kommt und mit ihr neuer Zweifel; denn die [14] Entschließungen, die aus der Vernunft hervorgegangen, schwanken; nur der Glaube ist sicher. Der Dichter fragt: ob er auch tüchtig sei für den großen Zweck?
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 12 bzw. 13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_012013.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)