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Seite:Dante - Komödie - Streckfuß - 417.jpg

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Vierter Gesang.
Fortsetzung. Belehrung über Wesen und Stufen der Seligkeit – weiterhin über den freien Willen.

1
Zwischen zwei Speisen, gleich entfernt und lockend,[1]

Ging hungrig wohl ein freier Mann zu Grund,
Nicht von der einen noch der andern brockend.

4
So stünd’ ein Lämmchen zwischen Schlund und Schlund

Von zwei Wölfen fest, in gleichem Zagen,
So stünd’ auch zwischen zweien Reh’n ein Hund:

7
So ließ verschiedner Zweifel mich nicht fragen.

Ich schwieg nur, weil ich mußt’ und kann davon
Drum weder Gutes jetzt noch Böses sagen.

10
Ich schwieg, doch ward mein Wunsch vom Antlitz schon

Klar ausgedrückt und deutlicher vernommen,
Als hätt’ ich ihn erklärt mit klarem Ton.

13
Beatrix that wie Daniel, als entglommen[2]

Nebucadnezar war in blinder Wuth,
Die des Propheten Deutung ihm benommen.

16
„Daß dich zwei Wünsche drängen, seh’ ich gut,“

Begann sie, „die dich fesseln, so daß keiner
Von beiden sich nun kund nach Außen thut.

19
Du fragst: Bleibt unser Will’ ein guter, reiner,[3]

Wie macht Gewaltthat Andrer dann den Werth
Und wie den Umfang des Verdienstes kleiner?

22
Hiernächst macht Zweifel dir, was Plato lehrt:

Daß, wie’s ihm scheint, zu ihrem Sternenkreise


  1. IV. [1 ff. Buridan’s (Scholastiker um 1360) Esel, der zwischen zwei Heuhaufen aus Wahlfreiheit verhungert, hat also an diesem originalen Bild des Dante einen Vorgänger.]
  2. [13. Daniel erklärte Nebukadnezars Traum, ehe ihm der König denselben erzählte (und entging dadurch seinem Zorn)].
  3. [19–63. Zwei Zweifel sollen dem Dante gelöst werden. Der zweite zuerst: wie sich die Vertheilung der Seligen auf die Sterne zu Plato’s Ansicht im Timäus stelle, wornach jede Seele zu dem Stern wiederkehre, auf dem sie vor ihrem Erdenleben gewesen, V. 22–24. Nun steht fest, daß von einer abgegrenzten Localisirung der Seelen und einem Mehr oder Minder in der wesentlichen Seligkeit selbst gar nicht die Rede sein kann, V. 25–48 mit Ges. 3, 70–108. Der Seraph, der, wörtlich, „sich am meisten zu Gott macht“ („Vergottung“ der Mystiker), der Gläubige des alten und neuen Testaments, Maria [418] mit eingeschlossen – sie sind alle eigentlich im obersten, empyreischen Himmel (V. 34) und sind alle selig und ewig (V. 33) dort. Einzig die Verschiedenheit der Art und Intensität ihres Schauens, ihrer Gottversenkung wird durch die verschiedenen Kreise angedeutet V. 35–39 mit Par. 28, 106. Letztere sind aber nur ein Bild, wie deren auch die heilige Schrift braucht, zur Nachhülfe unserer Fassungskraft, V. 40–46. Ist also Plato’s Lehre wörtlich zu nehmen, so ist sie irrig V. 49–54. Steckt aber nur das Sinnbild dahinter, daß jede Seele unter dem Einfluß eines bestimmten Sterns stehe und, indem sie zu demselben zurückkehre, gleichsam die größre oder geringere Glorie und Ehre ihm zurückbringe, die sie seinem Einfluß verdankt und nun im Himmel genießt, dann ist etwas Wahres daran V. 55–59. Wiederholt also D. hier seine tiefgewurzelte Ansicht, vom astrologischen Einfluß selbst auf das individuelle Maaß der himml. Gottesanschauung, so will er [419] sich doch ernstlich gegen eine daraus gefolgerte Stern-Anbetung verwahrt haben V. 60–63. Denn auch jene Sternenmacht steht ja unter Gottes vorbestimmter Ordnung. – Soweit Dante’s authentische Darlegung. Der Leser möge nun hiernach die feine Grenzlinie zwischen der behaupteten, allgemeinen Seligkeit und der verschiednen Art und Glorie derselben, (welche übrigens auch von Schrift und Kirche gelehrt wird, Joh. 14, 2. 1. Cor, 15, 41. „progressus in infinitum“,) selbst weiter überlegen und im Auge behalten. Wir führen hier nur noch das treffliche Gleichniß des alten Landino an, welcher das gegenseitige Verhältniß der Seligen durch verschiedene Gefäße darstellt, die, ungleich in der Größe, doch alle gefüllt sind. Das kleinste und das größte sind also gleicherweise voll, wiewohl das große mehr enthält, als das kleine.]
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 417. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_417.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)