Zum Inhalt springen

Seite:Dante - Komödie - Streckfuß - 413.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Die nur, wer sie geschmeckt, begreifen kann,

40
O sei jetzt freundlich mir. Mein ganzes Trachten

Ist ja dein Nam’ und euer Loos. Drum sprich!““ –
Und Sie, bereit, mit Augen, welche lachten,

43
Sprach: „Unsre Lieb’ erschließt sich williglich[1]

Gerechtem Wunsch, gleich der, der Liebe Bronnen,
Die ihr Gefolg gebildet will nach sich.

46
Dort auf der Welt gehört’ ich zu den Nonnen;

Doch wende nur mir die Erinn’rung zu,
Und trotz der höh’ren Schönheit, höh’rer Wonnen,

49
Daß ich Piccarda bin, erkennest du,[2]

Mit diesen Allen, die sich selig nennen,
Zum trägsten Kreis versetzt in Wonn’ und Ruh’.[3]

52
All’ unsre Wünsche, die allein entbrennen

In Lust des heil’gen Geists, sind hoch ergetzt,
Weil seine Ordnung willig sie erkennen.

55
Dies Loos, vor andern niedrig wohl geschätzt,

Ward uns zu Theile, weil wir dort auf Erden
Verabsäumt die Gelübd’ und sie verletzt.“

58
Drauf ich: „„Euch glänzt in Antlitz und Geberden,

  1. 43. 44. Gleich der (Liebe), der Liebe Bronnen, gleich der Liebe Gottes, gleich Gott selbst, welcher will, daß Alle ihm ähnlich sein sollen.
  2. [49–108. Piccarda, schon in Fegf. 24, 10 erwähnt, war die Schwester des Corso und Forese Donati und aus freiem Willen in den Clarissinnen-Orden getreten, obwol sie schon verlobt war. Daher entführte sie Corso mit Gewalt und sie trat in die Ehe. Letzteres war allerdings ein Bruch ihres Nonnen-Gelübdes. Sie befindet sich daher im Mond, wo die Seligen die verhältnißmäßig niederste Seligkeit haben, ohne aber eine höhere zu vermissen, V. 52 ff. und wo sie noch, wenn auch verschönert und vergeistigt, ihre menschliche Gestalt erkennen lassen, V. 47–49, welch’ letztere weiter oben sich ganz in Licht auflöst und erst im höchsten Himmel, in der Himmelsrose, wieder sichtbar wird. – Aus ihrer folgenden schönen Rede, womit noch Ges. 4, besonders V. 28–42 und unsre Vorbemerkung zum Paradies zu vergleichen ist, ersieht der Leser leicht, wie Dante in poetischem Interesse, ohne inneren Widerspruch mit der Idee des Paradieses, die Seligen in neun abgestufte Kreise, nach der, mehr oder weniger von ihnen schon im zeitlichen Leben erlangten Vollkommenheit und Vollendung eintheilen konnte: Die Seligkeit ist eine, aber in verschiedenen Geistern sich verschieden reflectirende (individuelle). Und wiederum: ihr Wesen giebt einer stets wachsenden [414] Versenkung in’s Meer der Gottheit Raum, aber in jedem Stadium dieser ist jede Seele ganz und gar voll und befriedigt. Denn die Einheit mit dem Willen und der Ordnung Gottes, das Nicht-Mehr-Wünschen, als Gott gibt, ist ihre Seligkeit. – Sind nun diejenigen Nonnen, welche später wieder ihr Gelübde auflösten, im ersten niedersten Kreis, so werden wir dies daraus zu erklären haben, daß die höchste, irdische Vollendungsstufe für Dante das rein beschauliche Leben ist, die geringste Vollkommenheit dagegen darin besteht, das beschauliche Leben einmal gewählt, aber wieder aufgegeben zu haben. Die Heiligen der Beschaulichkeit treffen wir darum im letzten, siebenten, die Nonnen im untersten, ersten Kreise, so daß zwischen diesen beiden ein feiner Zusammenschluß stattfindet. Zwischen beiden werden wir im Verfolg des Gedichts, jedesmal unter Voraussetzung des hier ausgesprochenen Gesammtbegriffs der Seligkeit, noch fünf weitere Classen finden, welche wir – ebenfalls unter Voraussetzung des hier Bemerkten – am betreffenden Ort kurz nennen wollen. Die zwei allerletzten Kreise (8 und 9) nehmen dann die Apostel und Engel ein, während ganz consequent der zehnte Himmel (Empyreum) die eigentliche, wahre Meinung des Dichters, die Gesammtheit aller Seligen beisammen in der Himmelsrose, zeigt.]
  3. [414] 51. Der trägste Kreis – der des Mondes, weil dieser dieselbe Zeit braucht, um den engsten Kreis zu durchlaufen, in welcher die höheren Sterne die weiteren und weitesten Bahnen zurücklegen.
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 413. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_413.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)