Es wurde elf Uhr. Und Frau Rat zog sich zurück. Auch das Ehepaar war verschwunden. Der Lautsprecher schwieg. –
Ich muß den Balkon näher beschreiben. Er hatte eine schmale gemauerte Brüstung, auf der grüne Kästen mit sehr üppig wuchernden lila Petunien standen. Der Balkon reichte bis zum zweiten Fenster unseres Zimmers. Selbst wenn man die Balkontüre schloß, konnte man aus dem Fenster unbemerkt hinausgelangen.
Wir hatten die Tür geschlossen. Aber an Schlafengehen dachten wir nicht. Harald hatte vorhin erklärt, er hoffe den Geisterradler noch in dieser Nacht zu sehen … „Er wird Reimert infolge der damaligen Begegnung am Drahtzaun des Haubenberges zweifellos im Auge behalten … Er wird, behaupte ich, Reimerts Laden beobachten. Steigen wir auf den Balkon hinaus und nehmen wir unsere Strickleiter mit.“
Diese Äußerungen erschienen mir sehr fundamentlos. – Beobachten – – nur der einen Begegnung wegen?! – Aber ich unterdrückte eine Erwiderung. Harald spielte ja doch wieder mit verdeckten Karten.
Hinter den dichten Petunien waren wir von der stillen Straße aus unsichtbar. Wir saßen ganz still. Eine blecherne Turmuhr schlug zwölf.
Da kam vom Marktplatz im Häuserschatten jemand entlang, blieb drüben stehen, schaute zum Balkon empor, trat in eine Haustürnische …
„Er!“ flüsterte Harald …
Ich hatte von dem Manne wenig erkannt. Es war zu dunkel.
Ein lauer Regen begann herabzurieseln. Der Mann ging weiter, nachdem er bis auf die Mitte des Fahrdamms gekommen war und die Ladentür und das Schaufenster unten arglos gemustert hatte.
Im Nu hatten wir die Strickleiter wie vorbereitet eingehakt.
Max Schraut: Dämon Chanawutu. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1928, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:D%C3%A4mon_Chanawutu.pdf/19&oldid=- (Version vom 31.7.2018)