Bedeutung für die Chemnitzer Industrie, als Albert Voigt, der sich seit 1860 mit dem Bau von Schweizer Stickmaschinen beschäftigte, im Jahre 1867 nach Kappel übersiedelte und hier den neuen Fabrikationszweig durch fortgesetzte Verbesserungen und Vervollkommnungen bald zu grossem Aufschwung brachte. Die 1862 erfolgte Gründung eines Börsenvereins, die in dasselbe Jahr fallende Errichtung der hiesigen Handels- und Gewerbekammer und die 1867 in Chemnitz veranstaltete Industrieausstellung legen endlich auch Zeugnis von der gewerblichen und kommerziellen Bedeutung ab, die unser Chemnitz in den 60 er Jahren trotz der Erschwernisse jener Zeit gewonnen hatte.
Aber auch in den beiden nächsten Jahrzehnten hatte unsre heimische Industrie, namentlich der Maschinenbau, zu ringen und zu kämpfen. Dem grossen Arbeiterstreik im Anfange der 70 er Jahre folgte da eine von 1873 bis 1885 währende schwere Krisis. Im Zusammenhang hiermit gingen die bedeutendsten Unternehmungen in die Hände von Aktiengesellschaften über: Richard Hartmann machte 1879 den Anfang, Zimmermann, Albert Voigt, Louis Schönherr, Diehl u. s. w. folgten. An Stelle des darniederliegenden Dampfmaschinenbaues wurde jetzt der von Werkzeugmaschinen intensiver betrieben, die Fabrikation von Holzbearbeitungsmaschinen fand seit 1876 durch die Maschinenfabrik Kappel Eingang, und weitere neue Industriezweige entstanden durch die Einführung der Strickmaschinen- und Nadelfabrikation für Strick- und Wirkmaschinen. Dazu wurde gerade in jenem kritischen Jahrzehnt der Grund zu weiteren Unternehmungen gelegt, die den Weltruf der Chemnitzer Industrie mit fördern halfen. Seit der Mitte der 80 er Jahre begann dann thatsächlich ein neuer Aufschwung der Chemnitzer Maschinenindustrie. Neue Fabriken, besonders für Specialbranchen, entstanden: die älteren Etablissements, wie die Sächsische Maschinenfabrik u. a., erweiterten ihre Betriebe, namentlich auch ihre Giessereien immer mehr und immer grossartiger. Aber auch auf dem Gebiete der Textilindustrie machen sich in dieser Zeit Fortschritte bemerkbar, und in fortgesetzt aufsteigender Linie bewegte sich dann die Chemnitzer Industrie auch im letzten Jahrzehnte weiter. Zwar sind der heimischen Textilindustrie, namentlich der Wirkerei in diesem Zeitraum durch die nordamerikanische Schutzzollpolitik tiefe Wunden geschlagen worden, aber Intelligenz und Thatkraft schufen auch hier und jetzt wieder Ersatz für diese Schädigungen. Für Möbelstoffweberei ist Chemnitz so der bedeutendste Platz in Deuschland geworden, C. G. Haubold steht zur Zeit als die grösste Appreturmaschinenfabrik Deutschlands da; die Sächsische Maschinenfabrik, Theodor Wiede’s Maschinenfabrik A.-G. und Oscar Schimmel & Co. A.-G. beherrschen mit ihrer Fabrikation von Streichgarn-Spinnereimaschinen den Weltmarkt, und die Bedeutung der L. Hermsdorf’schen Färberei für den Weltmarkt an dieser Stelle weiter darzulegen, hiesse Eulen nach Athen tragen. Auf allen anderen Gebieten der Chemnitzer Industrie aber, namentlich der Maschinenbauindustrie, herrscht seit dem letzten Jahrzehnt unsres Jahrhunderts ein äusserst kräftiger Aufschwung. Die lebhafte und erfolgreiche Beteiligung des Chemnitzer Gewerbefleisses an der Weltausstellung zu Chicago 1893 und an der Sächsisch-Thüringischen Industrie- und Gewerbeausstellung in Leipzig 1897 legten ein beredtes Zeugnis von diesem Aufschwunge ab. In der Peripherie der Stadt und draussen in den Vororten, die bereits der Stadt einverleibt sind oder ihr einverleibt werden sollen, sind zahlreiche, zum Teil grossartige Fabrikneubauten entstanden oder noch im Entstehen begriffen. Die letzte der in dem vorliegenden Werke nun folgenden Gruppen, die der Industrie gewidmet ist, giebt ein Bild von dem Stand, den unsre heimische Industrie am Schlusse ihrer Jahrhundertsentwicklung einnimmt, und auf diese von den einzelnen Firmen stammenden Eigenberichte müssen wir, uns beschränkend, hinweisen, da uns der an dieser Stelle zur Verfügung gestellte Raum nicht gestattet, noch einen zusammenfassenden Überblick über den Stand der Chemnitzer Industrie am Schlusse des 19. Jahrhunderts zu geben.
: Chemnitz am Ende des XIX Jahrhunderts in Wort und Bild. Körner & Lauterbach, Chemnitz ca. 1900, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Chemnitz_am_Ende_des_XIX_Jahrhunderts_in_Wort_und_Bild.pdf/23&oldid=- (Version vom 19.2.2025)