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Seite:Busoni Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst 1916.pdf/41

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Nein, nicht das kann ich meinen. Denn unser ganzes Ton-, Tonart- und Tonartensystem ist in seiner Gesamtheit selbst nur der Teil eines Bruchteils eines zerlegten Strahls jener Sonne „Musik“ am Himmel der „ewigen Harmonie“.


So sehr die Anhänglichkeit an Gewohntes und Trägheit in des Menschen Weise und Wesen liegen – so sehr sind Energie und Opposition gegen Bestehendes die Eigenschaften alles Lebendigen. Die Natur hat ihre Kniffe und überführt die Menschen, die gegen Fortschritt und Änderungen widerspenstigen Menschen; die Natur schreitet beständig fort und ändert unablässig, aber in so gleichmäßiger und unwahrnehmbarer Bewegung, daß die Menschen nur Stillstand sehen. Erst der weitere Rückblick zeigt ihnen das Überraschende, daß sie die Getäuschten waren.

Deshalb erregt der „Reformator“ Ärgernis bei den Menschen aller Zeiten, weil seine Änderungen zu unvermittelt und vor allem, weil sie wahrnehmbar sind. Der Reformator ist – im Vergleich zur Natur – undiplomatisch, und es ist ganz folgerichtig, daß seine Änderungen erst dann Gültigkeit erlangen, wenn die Zeit den eigenmächtig vollführten Sprung wieder auf ihre feine unmerkliche Weise eingeholt hat. Doch gibt es Fälle, wo der Reformator mit der Zeit gleichen Schritt ging, indessen die übrigen zurückblieben. Und da muß man sie zwingen und dazu peitschen, den Sprung über die versäumte Strecke zu springen. Ich glaube, daß die Dur- und Moll-Tonart und ihr Transpositionsverhältnis, daß das „Zwölfhalbtonsystem“ einen solchen Fall Zurückgebliebenheit darstellen.