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Seite:Band II - Der Osten (Holl) 279.png

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verstecken braucht, hat ihn gepflegt. Der größte der griechischen Mystiker, Symeon der neue Theologe († ca. 1041) hat ein System entworfen, dessen streng festgehaltene Richtpunkte Gott und die Seele sind. Was nicht in diesen Rahmen hereinpasst, was nicht erfahrbar ist und nicht mit dem unmittelbaren religiösen Leben in Beziehung steht, ist hier stillschweigend beiseite geschoben. Als Kritik am Dogma war das nicht gemeint, wenn es auch Selbsttäuschung war, daß das Dogma daneben völlig unangetastet bestehen bleibe. Die Last der Vergangenheit drückte zu schwer, und die Erinnerung an die heißen Mühen, die es gekostet hatte, das Dogma zu formulieren, war zu mächtig, als daß ein Grieche des Mittelalters auch nur von ferne hätte daran denken können, ein Steinchen bewußt zu verrücken. Aber wenn auch auf dem Gebiet der sogenannten objektiven Dogmen von einem gewissen Zeitpunkt an jede Weiterbildung aufhörte, die Tatsachen des innern Lebens boten noch Stoff für die Spekulation, und an diesem Punkt hat die Produktion nie ganz aufgehört.

Um zu ermessen, was das für die Kirche bedeutet hat, muß man sich vergegenwärtigen, in welcher Stimmung der Grieche des Mittelalters dem Dogma gegenübersteht. So stolz man auf das Erbe der Väter ist, mit so großem Respekt man an dieser Leistung hinaufsieht, es wird doch niemand seines Glaubens recht froh. Denn man weiß, welche Abgründe neben dem schmalen Weg der Orthodoxie links und rechts gähnen, und so oft ein dogmatisches Problem auftaucht, macht man die Erfahrung, daß sich Für und Wider mit gleich guten Gründen verteidigen läßt[1]. Das Mönchtum hat der Kirche den Dienst geleistet, daß es ein Gebiet erschloß, auf dem das Denken sich frei bewegen konnte.

Es wäre mit dem Bisherigen noch nicht entschieden, ob in das praktische sittliche Leben des Volkes selbst etwas vom mönchischen Geist, vom mönchischen Ernst der Selbstzucht eingedrungen sei. Aber gerade dafür haben wir ein sicheres Zeugnis in der Verbreitung eines darauf berechneten, spezifisch mönchischen Instituts, des Instituts der Beichte. Sofern man unter Beichte ein pflichtmäßiges und regelmäßiges Bekenntnis der Gedanken des Herzens versteht, läßt sich mit ziemlicher Bestimmtheit sagen, daß Basileios von Käsarea der Schöpfer des Instituts ist. Die Einordnung entsprach seinem Ideal des Gemeinschaftslebens in den Könobien, seiner Überzeugung, daß der einzelne nur als Glied eines größeren Ganzen die Vollkommenheit zu erreichen vermöge, und sein Sinn dabei war, die geistlichen Kräfte der Gesamtheit für die persönlichen Nöte des einzelnen nutzbar zu machen. Deshalb schrieb er vor, daß jedes Glied der Mönchsgemeinde seine Herzensgedanken und seine Verfehlungen je nachdem im weiteren oder im engeren Kreise bekennen solle, damit das Gute erkannt und befestigt, das Schlimme sofort unterdrückt werde. Er dachte nicht daran, damit jemand eine Tortur aufzuerlegen; er sah nur auf die geistliche Förderung, die hieraus erwachsen konnte, und er setzte aufrichtige brüderliche Gesinnung bei allen Beteiligten voraus. Die offizielle Kirche hat ihre Zucht auf die Ahndung der Todsünden (hauptsächlich Häresie, Totschlag, Unzucht) beschränkt, sie ließ ihre Gläubigen in Unsicherheit darüber, wie für die Sünden, die noch keine Todsünden waren, Vergebung zu erlangen sei, resp. sie erwartete, daß das große

  1. Ich denke dabei vor allem an die Kontroversen unter Alexios Komnenos und Manuel Komnenos.
Empfohlene Zitierweise:
Karl Holl: Über das griechische Mönchtum. J. C. B. Mohr, Tübingen 1928, Seite 279. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Band_II_-_Der_Osten_(Holl)_279.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)