Unter Nord-Ostjaken versteht man denjenigen Theil der ugrischen Ostjaken, dessen Wohnplätze sich vom Vereinigungspunkte des Irtysch und Ob bis zur Grenze des Samojedenlandes nördlich von Obdorsk erstrecken. Das Ostjakische in diesem Gebiet unterscheidet sich vielfach von der Sprache der Ostjaken am Irtysch und am mittleren Ob, welche Castrén untersucht und beschrieben hat, und zerfällt in drei verschiedene Dialekte: den kondinskischen, den beresovschen und den obdorskischen, über deren Eigenthümlichkeiten die Grammatik Aufschluss geben wird. Zu der ziemlich eingehenden Untersuchung dieser Sprache haben mir die beiden Reisen Gelegenheit gegeben, welche ich in den Jahren 1858 und 1877 nach dem Lande der Ostjaken und Wogulen unternommen habe, die erstere als Stipendiat der finnischen Universität, die letztere auf Kosten der finnischen Regierung. Auch ist Alles, was in gegenwärtigem Werk mitgetheilt ist, von mir selber aufgezeichnet, oder, wenn auch von anderer Hand aufgezeichnet, doch von mir kritisch behandelt und durch meine Feder gegangen.
In Bezug auf die Texte ist Folgendes zu bemerken. Die drei ersten Märchen wie auch sämmtliche Lieder sind auf meine Veranlassung im obdorskischen Dialekte von dem ostjakisch-samojedischen Gemeindeschreiber in Obdorsk, Anders Sobrin gesammelt, demselben Manne, der auf dem archäologischen Kongress in St. Petersburg die ostjakische Nationalität repräsentirte; er war eine Zeit lang mein Mithelfer beim Studium des obdorskischen Ostjakischen. Die übrigen Märchen stammen von einem anderen meiner ostjakischen Sprachmeister, Michail Lazarev, einem schreibkundigen Ostjaken aus Bolsche-Atlym im Gebiete der südlichsten Mundart; doch sind die von ihm mitgetheilten Märchen hier in den Formen des beresovschen Dialektes wiedergegeben. In demselben Dialekte sind sämmtliche Räthsel von einem anderen, gleichfalls schreibkundigen Ostjaken Namens Simeon Morochov aus Tschemaschewo, einem Kirchdorf ungefähr in der Mitte zwischen Beresov und Kondinsk aufgezeichnet. Morochov war den Frühling und Sommer 1877 über in meinem Dienst und begleitete mich auf meinen Reisen als Diener und ostjakischer Dolmetscher. Die Uebersetzungen aus der biblischen Geschichte sind gleichfalls seine Arbeit. Sowohl er wie meine übrigen Mithelfer schrieben jedoch das Ostjakische mit russischer Schrift und, wie sich von selbst versteht, ohne jede Kenntniss der Ortografie und Fonetik. Die von ihnen in erster Hand aufgezeichneten Texte wurden von mir, nicht nach den Buchstaben ihrer
August Ahlqvist: Ueber die Sprache der Nord-Ostjaken. In Commission bei G. W. Edlund, Helsingfors 1880, Seite V. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ahlqvist_Forschungen_auf_dem_Gebiete_der_ural-altaischen_Sprachen_III.pdf/5&oldid=- (Version vom 31.7.2018)