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Seite:Adolf von Stählin - Philipp Melanchthon.pdf/27

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die höchsten Ziele gerichtet war. „Dieselbe Gemütsstimmung, sagte er, mit der wir den Tempel betreten, müssen wir auch in die Schule mitbringen, nämlich um hier göttliche Dinge zu lernen und anderen mitzuteilen. Kommt jemand zur Schule, nur um hier etwas Gelehrsamkeit mitheimzunehmen und sich derselben zum Gewinn oder eitlem Ruhm zu bedienen, der wisse, daß er den heiligen Tempel der Wissenschaft entweiht.“ Gegen seine Schüler hatte er die väterlichste Gesinnung, und unterstützte die Notleidenden mannigfach. „Ich kann mit Wahrheit versichern“, sagt Melanchthon selbst in einer akademischen Rede, „daß ich mit väterlicher Liebe und Zuneigung alle Studierenden umfasse, und von allem, was ihnen Gefahr bringt, sehr ergriffen werde.“ Die Ausländer, die nicht deutsch verstanden, lud er alle Sonntage zuerst in sein Haus, dann in den Hörsaal zu erbaulichen biblischen Betrachtungen in lateinischer Sprache ein; hieraus entstund seine Postille. Er hatte im eigenen Hause lange Zeit noch eine Privatschule.

 Demut gilt für eine christliche Grundtugend. Der Mann von unermeßlicher Wirksamkeit und unbegrenztem Ansehen war zugleich der demütigste, bescheidenste Mann. In Bezug auf seine theologischen Leistungen äußerte er sich auf gegebene Nötigung: „ja ich habe einiges deutlicher gemacht, als es zuvor war.“ Im Jahre 1526 wurde er von dem Nürnberger Hieronymus Baumgärtner aufgefordert, die Rektoratsstelle an dem zu gründenden Gymnasium zu übernehmen. Der zweite Grund, weshalb er ablehnte, war, weil er einer solchen Stelle nicht gewachsen sei. Bei Einweihung des Gymnasiums hielt er aber gleichwohl eine glänzende Rede. Auf die Würde eines Doktors der Theologie hat er stetig verzichtet; sie stand ihm zu hoch. Dem Berufe Luther’s, von dem Melanchthon. wie er selbst versicherte, das Evangelium gelernt, hat er wiederholt einen klassischen Ausdruck gegeben. Am Sarge Luther’s rief er ihm das Wort Elisas dem scheidenden Elias gegenüber nach: „mein Vater, mein Vater, Wagen Israel und seine Reiter.“

 Wo Demut und Liebe sich also vereinen, findet sich auch eine große Kraft der Selbstbeherrschung und Selbstverleugnung. Diese hat Melanchthon in wahrhaft bewundernswerter Weise geübt.

Empfohlene Zitierweise:
Adolf von Stählin: Philipp Melanchthon. J. A. Schlosser, Augsburg 1897, Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_Philipp_Melanchthon.pdf/27&oldid=- (Version vom 31.7.2018)