einem Jahre keine weiteren Erscheinungen. Der Urinbefund ergab zur Zeit des Fiebers Eiterklümpchen, rote und weiße Blutkörperchen, hyaline und granulierte Zylinder. Man muß die letzte Attacke als den letzten Nachschub einer Graviditätspyelitis (ohne Gravidität?) ansehen. Zu Beginn der Erkrankung stellte ich die Behauptung auf, Patientin müsse aus einer enuretischen Familie stammen. Nach anfänglichem Leugnen gab Patientin dies zu; sie habe bis zum 12. Jahre an Bettnässen gelitten, ebenso mehrere ihrer Geschwister. Der Vater war an Blasenkarzinom gestorben, eine Schwester leidet an Idiotie, eine starb im Status epilepticus. Patientin selbst war stets ängstlich. Zwei ihrer Kinder zeigten bis zum 3. Jahre Enuresis, später Pavor nocturnus.
12. Fritz C., Kaufmann, 26 Jahre alt, erkrankte vor 3 Jahren an Schmerzen in beiden Hypochondrien, die gegen die Blase ausstrahlten. Dabei soll mäßiges Fieber aufgetreten sein. Der Harnbefund ergab damals: Spezifisches Gewicht 1020, sauer, normale Menge, getrübt. Albumen 0·08%, im Sediment erhaltene und ausgelaugte rote Blutkörperchen, hyaline, fein und grob granulierte Zylinder, vereinzelt Epithelial- und rote Blutkörperchenzylinder, spärliche Leukozyten. Dieser Befund hat sich mit geringen Besserungen bis auf den heutigen Tag erhalten. Auch die Schmerzen treten, wenn auch selten, noch immer auf. Differentialdiagnostisch kamen Nephrolithiasis, Tuberkulose, Neoplasma und Nephralgie hématurique in Betracht, unter denen letztere Diagnose die größte Wahrscheinlichkeit hatte. Als mir eines Tages Patient eine Brandwunde am Finger zeigte, die er sich des Nachts zugezogen hatte, als er schlafwandelnd wie schon öfters aus dem Bette stieg und im Schlafe eine Kerze anzündete, stellte ich die Behauptung auf, daß er Bettnässer gewesen sei, was Patient sofort zugab. Bei weiterer Beobachtung des Patienten erwies er sich als homosexuell; litt gelegentlich an Harnretention von längerer Dauer, die sich stets an einen Schrecken anschloß. Der Katheter passierte den Sphinkter leicht. Auch seine Geschwister litten an Enuresis, eine Großmutter starb an Urämie. Patient litt gleichzeitig seit frühester Kindheit an Obstipation und war seit jeher gewöhnt, den Irrigator täglich zu verwenden. (Zweite Komponente der Homosexualität.)
13. Dr. L. Z., Jurist, 32 Jahre alt, Neurasthenie. Erkrankte vor 8 Jahren an Chorioretinitis auf hereditär luetischer Basis. Am rechten Auge besteht Schichtstar (Augenminderwertigkeit von offen embryonalem Charakter). Im Urin findet sich regelmäßig Nukleoalbumin, zeitweise hyaline und granulierte Zylinder sowie Leukozyten. Klagt über sexuelle Schwäche, die sich nach Behebung einer hochgradigen Phimose besserte.
Alfred Adler: Studie über Minderwertigkeit von Organen. Urban & Schwarzenberg, Berlin und Wien 1907, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:AdlerStudie.djvu/95&oldid=- (Version vom 31.7.2018)