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Seite:AdlerNervoes1912.djvu/20

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Bearbeitung, Verwerfung, Verbesserung der Organismus mit geänderten Lebensbedingungen in Einklang zu kommen sucht. Ihre (gelegentliche) Überwertigkeit ist tief begründet in dem Zwange eines ständigen Trainings, in der den minderwertigen Organen oftmals anhaftenden Variabilität und grösseren Wachstumtendenz und in der durch die innere Aufmerksamkeit und Konzentration erhöhten Ausbildung des zugehörigen nervösen und psychischen Komplexes.“

Die Schäden der konstitutionellen Minderwertigkeit äussern sich in den mannigfachsten Erkrankungen und Krankheitsbereitschaften. Bald treten körperliche oder geistige Schwächezustände hervor, bald Übererregbarkeit der nervösen Bahnen, bald Plumpheit, Ungeschicklichkeit oder Frühreife. Ein Heer von Kinderfehlern kooperiert mit der Krankheitsbereitschaft und schliesst sich, wie ich gezeigt habe, eng an die organische oder funktionelle Minderwertigkeit an. Strabismus, Brechungsanomalien des Sehorgans oder Lichtscheu mit ihren Folgen, Hörstummheit, Stottern und andere Sprachfehler, Schwerhörigkeit, die organischen und psychischen Nachteile der adenoiden Vegetationen, die entwickelte Aprosexie, die häufigen Erkrankungen der Sinnesorgane, der Luft- und Nahrungswege, hervorstechende Hässlichkeit und Misbildungen, periphere Degenerationszeichen und Naevi, die tieferliegende Organminderwertigkeiten verraten können, (Adler, Schmidt). Hydrocephalus, Rhachitis, Haltungsanomalien als Skoliose, runder Rücken, Genua vara oder valga, Pes varus oder valgus, länger dauernde Inkontinenz von Stuhl und Urin, Misbildung der Genitalien, Folgen der Kleinheit der Arterien (Virchow) und die zahlreichen weiteren Folgen der Minderwertigkeit von Drüsen mit innerer Sekretion, wie sie von v. Wagner-Jauregg, Frankl v. Hochwart, Chvostek, Bartel, Escherich, Pineles und anderen beschrieben wurden, lassen in ihrer ungeheuren Fülle, in der Variation ihrer Zusammenhänge den grossen Kreis der Krankheitserscheinungen erkennen, wie er sich durch das Verständnis der Organminderwertigkeit dem Arzte erschlossen hat. Insbesondere waren es Kinderärzte und Pathologen, die zuerst auf diese Zusammenhänge geachtet haben. Aber auch für die Neurologie und Psychiatrie ist die Betrachtung der „Degeneration“ von immer grösserer Wichtigkeit geworden; von Morels Lehre der Degenerationszeichen zieht sich die Fortschrittslinie bis zur Anschauung von den nervösen Erkrankungen auf der Grundlage der minderwertigen Konstitution.

Heben wir bloss die statistische Arbeit Thiemich-Birks und die Mitteilungen Potpeschniggs (zitiert nach Gött) hervor über die Schicksale von Kindern, die als Ein- oder Zweijährige wegen tetanoider Krampfzustände behandelt worden waren. Von diesen Kindern war nur ein spärlicher Bruchteil ganz gesund geworden. Meist ergaben sich später deutliche Zeichen körperlicher und geistiger Minderwertigkeit, psychopathische und neuropathische Züge. Als solche führen diese Autoren an: Infantilismus, Schielen, Schwerhörigkeit, Sprachfehler, Schwachsinn, Schlafstörungen, Pavor nocturnus, Somnambulismus, Enuresis, Reflexsteigerungen, Tics, Wutkrämpfe, Wegbleiben, Schreckhaftigkeit, Jähzorn, pathologische Lügenhaftigkeit, triebhaftes Weglaufen. Auch Gött und andere Autoren gelangten zu dem Schlusse, dass bei spasmophilen Kindern eine Disposition zu schweren neuro- und psychopathischen Zuständen besteht. — Czerny und andere heben hervor, dass der gleiche Zusammenhang bei magendarmkranken Kindern nachzuweisen

Empfohlene Zitierweise:
Alfred Adler: Über den nervösen Charakter. J.F. Bergmann, Wiesbaden 1912, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:AdlerNervoes1912.djvu/20&oldid=- (Version vom 31.7.2018)