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Seite:AdlerNervoes1912.djvu/172

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hatte. Ein dreiräderiges Auto ist unvollkommener als das vierräderige, es fehlt ihm etwas. Ebenso ist es beim Weib. Der Mann ist vollkommen. Dazu der Gegensatz: die kleine Handhabe. Ich habe schon in früher Jugend bei Mädchen nach etwas gesucht. Es war mir etwas unklar an ihnen. Öfters hat es uns unter eine Brücke gezogen, und doch wussten wir nicht, was wir über uns durch die Ritzen zu sehen erwarteten. In jener Zeit, — ich konnte fünf Jahre alt gewesen sein, — hatte ich von den geschlechtlichen Vorgängen nicht die leiseste Ahnung („unsicher“), und war auch keiner geschlechtlichen Verirrung anheimgefallen. Ich kann mich aber erinnern, dass mich in jener Zeit schon etwas zu Mädchen hinzog. — „Die kleine Handhabe am Auto“ deutet zugleich darauf hin, dass ich auch dem Weibe gegenüber eine zu kleine oder gar keine Handhabe (Penis) besass, weshalb das Mädchen mir überlegen werden musste.“ —

„Mit meinem Auto, d. h. durch das Weib kam ich auf Seitenwege, die ich gar nicht gehen konnte, und die mich dem Ziele, das ich erreichen wollte, meinem Weg zur Höhe, nicht näher brachten.“

„Ich nahm das Auto auf den Rücken, das Weib war auf diese Weise mehr denn je über mir.“

„Das Wirtshaus, in dem ich mich endlich mit meinem Bruder wiederfand, steht auf dem Gipfel eines Berges; es deutet dies auf mein heisses Verlangen hin, einmal Grosses im Leben zu erreichen, wie ich es von meinem Bruder erwartet hatte.“

„Dass ich mit einer stark verschuldeten Familie zusammentraf, deutet darauf hin, dass ich mir schon oft übertriebene Gedanken darüber gemacht, wieviel eigentlich das Weib dem Manne kostet, und dass das Weib nur zu oft Ursache der Verschuldung ist.“

„Es ist mir klar, dass auch Gedankengänge an die Masturbation (Seitenwege, Verschuldung) in den Traum hineinspielen, ebenso der fälschliche Zusammenhang von Masturbation und Verkümmerung der Genitalien. Letzterer schrieb ich die Unsicherheit meiner Braut gegenüber zu, zu deren Entfernung (in die Ecke) ich, ohne es zu wissen, alle Anstalten traf. Mein Depressionszustand gilt dem gleichen Ziel, frei von der Frau, meine Überlegenheit im Leben zu erweisen.“ —

In unserer Physiognomik der Seele, als welche wir die Charakterlehre zusammenfassen, haben wir des öfteren schon von jenen scharf hervorspringenden, prinzipiellen Zügen gesprochen, die wie ein aufdringlicher Beweis der Männlichkeit das Persönlichkeitsgefühl stützen und heben sollen, als wäre eine Deklassierung, die Offenbarung einer weiblichen Rolle zu befürchten. So zeigt uns die übertriebene Schamhaftigkeit mancher Nervöser, Männer, die keine öffentliche Bedürfnisanstalt aufsuchen können, an „Harnstottern“ bei Anwesenheit Anderer leiden, sich durch Zwangserröten oder Angst und Herzklopfen jeder weiblichen Gesellschaft entziehen, den aufgepeitschten männlichen Ehrgeiz, der sich gegen das ursprüngliche Minderwertigkeitsgefühl stützt. Der männliche Protest dieser im innersten Kern unsicheren Patienten treibt sie zu diesem Arrangement, dessen Grenzen in das der Schüchternheit und Ungeschicklichkeit übergehen; oder es kommt zu einem Zusammenwirken dieser und anderer Züge, die sich auch gelegentlich vertreten können. Häufig findet man bei nervösen Personen beiderlei Geschlechts eine Unfähigkeit, angesichts anderer Personen den oft dringlichen Weg zum Klosett zu nehmen. Die grössere Schamhaftigkeit

Empfohlene Zitierweise:
Alfred Adler: Über den nervösen Charakter. J.F. Bergmann, Wiesbaden 1912, Seite 164. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:AdlerNervoes1912.djvu/172&oldid=- (Version vom 31.7.2018)