Menschen, und in diesen räumlichen Gegensatz fasste man Gedanken von erhaltender und zerstörender oder schreckender Tätigkeit.[1]
Des weiteren wirken als ausgestaltend auf den Raumbegriff des „Oben-Unten“ Empfindungen und Eindrücke aus der Kindheit, die den Gegensatz noch verschärfen. Das Fallen, nach unten Fallen, ist schmerzhaft, schimpflich, unehrenhaft, zuweilen strafbar. Nicht selten ist es die Folge einer Unachtsamkeit, geringer Vorsicht, und kann deshalb auch diese Empfindungsspuren als warnende Erinnerung dauernd aufnehmen, so dass „Untensein“ als prägnanter Ausdruck des „Gefallenseins“, der Unachtsamkeit, der Ungeschicklichkeit, der Niederlage empfunden werden kann, nicht ohne den Protest auszulösen oder zumindest anzuregen, der sich gegen das hinzutretende Gefühl der Minderwertigkeit richtet.
Man findet ferner in dieser Kategorie des „Unten-Oben“, von denen bei jedem das andere mitgedacht wird, bei Normalen und Neurotikern Gedankengänge beigemischt, die einen Gegensatz von Sieg und Niederlage, von Triumph und Minderwertigkeit ausdrücken. Im Einzelnen tauchen in der Analyse Erinnerungsspuren vom Reiten auf, vom Schwimmen, vom Fliegen, vom Bergbesteigen, vom Hinaufklettern und vom Stiegensteigen, als deren Gegensätze sich das Tragen eines Reiters, Alpdruck, Untergehen im Wasser, Herabfallen, Herabstürzen, Hemmung in einer Auf- oder Vorwärtsbewegung zeigen. Je abstrakter und bildhafter die Erinnerung wird, im Traum, in der Halluzination, in einzelnen neurotischen Symptomen, um so deutlicher sind Übergänge wahrzunehmen, die einen sexuellen Einschlag zeigen; dabei wird das männliche Prinzip, oft nur in der Auffassung einer stärkeren Kraft, als das „Oben“, das weibliche als das „Unten“ dargestellt. Dass Raufereien und ihre Ergebnisse diese Wertung unterstützten, ist leicht zu erkennen.
In den für das Leben vorbereitenden Spielen der Kinder (Karl Groos) ist dieser Zug nach „Oben“ regelmässig zu finden. Ebenso in den kindlichen Gedanken über künftige Berufe. Bei fortschreitender psychischer Entwickelung findet man regelmässig die bremsende Wirkung der Realität, so dass die Abstraktion des „Oben“ sich irgendwie konkret einzukleiden versucht. Dabei ist ungemein häufig die Vorsicht nach Art der Höhenangst am Werke und wendet den Wunsch Dachdecker zu sein, zur Berufswahl eines Baumeisters, macht aus dem Aviatiker einen Konstrukteur von Flugmaschinen, aus dem Wunsch kleiner Mädchen, wie der Vater zu werden, den erfüllbaren, als Mutter zu herrschen.
Sicherungstendenz und männlicher Protest nützen die sich ergebenden Leitlinien des „Oben sein Wollens“ aufs Äusserste aus. Unter dem Drucke dieser Fiktion ist der Neurotiker bald zu männlicher Entschlossenheit, zu Kampf und Streit, zu hastigem Drängen, bald wieder zu vorsichtigem, zögerndem, zweifelndem Tun genötigt. Er ist so in die Lage versetzt, die Rechnung seines Lebens anzusetzen, und das auch in Fällen, die sich der Aufmerksamkeit des anderen noch entziehen. Ja er muss Situationen herauswittern, festhalten, aufbauschen oder arrangieren, deren Wert uns doch allzu gering erscheint. Verfolgen wir dieses Gebaren im einzelnen.
- ↑ Für manche wertvolle historische Hinweise zu meiner Arbeit bin ich Herrn Professor Dr. S. Oppenheim besonders verpflichtet.
Alfred Adler: Über den nervösen Charakter. J.F. Bergmann, Wiesbaden 1912, Seite 148. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:AdlerNervoes1912.djvu/156&oldid=- (Version vom 31.7.2018)