Zum Inhalt springen

Seite:Abhandlung des Daseyns der Gespenster.djvu/072

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Andreas Ulrich Mayer, Gerard van Swieten: Abhandlung des Daseyns der Gespenster, nebst einem Anhange vom Vampyrismus

kann ich nur unter die Chimären und Hirkocerben zählen, derer Wirklichkeit ohnehin niemand als ein Träumer behaupten wird. Ich glaube also, daß diese unächte Lebensgeschichte lang nach dem Tode des Heil. Einsidlers von einem Verfasser seye zusammen gestoppelt worden, welcher seiner ungezügelten Einbildungskraft freien Lauf gelassen, und nicht nach der Wahrheit, sondern nach seinen Vorstellungen geschrieben hat. Valerius h)[1] machet die gelehrte Anmerkung, daß in den alten Zeiten die alten Mönche den Gebrauch gehabt, den jüngeren einen kurzen Begriff des Lebens einiger Heiligen vorzulegen, welches sie nach den Zügen der Redekunst ausarbeiten müßten. Diejenigen, die am besten gerathen sind, bewahrte man in dem Büchersaal, und da man sie nach etlichen Jahrhunderten mit Staub bedecket fand, sind sie als ächte Lebensbeschreibungen hervorgesuchet worden. Wer weiß, ob eben diese Lebensbeschreibung nicht eine Arbeit, und Geburt einer feurigen Einbildungskraft gewesen seye, welche die Versuchungen, die der Heilige gelitten, durch körperliche Erscheinungen des Satans vorgebildet habe. Will jemand dieser Muthmassung seinen Beifall nicht schenken, so will ich eine andere Quelle zeigen, aus welcher diese Lebensbeschreibung mag geflossen seyn. Ich glaube, ich werde nicht irren, wenn ich sage, daß selbe von den symbolischen Gemählden herkomme. Man schilderte den H. Antonius ab, wie ihm ein holdseliges Frauenbild, der Fleischteufel in Gestalte eines kleinen Knaben, und viele Thiere an der Seite stehen, und wie Antonius allen diesen kein Gehör ertheile, sondern in seinem eifrigen Gebethe fortfahre. Was will uns die Vorstellung sagen? Sie will nichts anderes andeuten, als daß Antonius die Welt, das Fleisch, alle Nachstellungen und Versuchungen


  1. h) In Biblioth. Eccl.
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Ulrich Mayer, Gerard van Swieten: Abhandlung des Daseyns der Gespenster, nebst einem Anhange vom Vampyrismus. , Augsburg 1768, Seite 72. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Abhandlung_des_Daseyns_der_Gespenster.djvu/072&oldid=- (Version vom 23.2.2020)