An jener Wahl nun betheiligte sich in der ältesten Zeit das ganze Volk, wenn auch ohne Zweifel das Ansehen der Großen, d. h. der geistlichen und weltlichen Fürsten dabei einen maßgebenden Einfluß hatte. Seit einigen Jahrhunderten aber wählen unter Ausschluß aller übrigen nur sieben, oder seit dem Frieden von Osnabrück acht Fürsten den Kaiser, welche deshalb Kurfürsten genannt wurden. Es sind dies drei geistliche, die Erzbischöfe von Mainz, Trier und Cöln, und fünf weltliche, der König von Böhmen, die Herzoge von Baiern und Sachsen, der Markgraf von Brandenburg und der Pfalzgraf vom Rhein. Wann diese Fürsten das alleinige Wahlrecht erlangt haben, steht nicht ganz fest. Zwei Jahrhunderte lang, von 1250 bis 1500, herrschte die Ansicht, daß Kaiser Otto III. und Papst Gregor V. die sieben Kurfürsten eingesetzt hätten, und einige Schriftsteller schreiben hierbei dem Papst, andere dem Kaiser den Hauptantheil zu, je nachdem sie auf Seiten des einen oder des anderen stehen. Diese Ansicht hat zuerst, so viel ich weiß, unser Landsmann Onuphrius Panvinius in einem besonderen Buche unter dem Titel: „De comitiis Imperii“ bekämpft, und jetzt stimmen ihm fast alle einsichtigen Deutschen zu. Sein Hauptgrund ist, daß dies Reichsgesetz, stamme es nun von Otto oder von Gregor, bis jetzt noch Niemand hat auffinden können, und daß alle Schriftsteller während der 240 Jahre von Otto III. bis Friedrich II. darüber schweigen. Denn Martinus Polonus, der zuerst die Kurfürsten erwähnt, lebte unter Friedrich II., also ungefähr drittehalb Jahrhunderte nach Otto III., und seine Glaubwürdigkeit in Betreff einer so weit vor seiner Zeit liegenden Begebenheit ist nicht über allen Zweifel erhaben, zumal er durch kein beweiskräftiges Zeugniß unterstützt wird. Ja mehr noch, Martinus selbst erwähnt gar nicht einmal ein Reichsgesetz und behauptet auch nicht einmal, daß zur Zeit Otto’s die Kurfürsten zuerst aufgetreten seien, sondern behauptet nur, daß seit der Zeit Otto’s die hohen Reichsbeamten angefangen hätten zu wählen. Das kann man auf zweifache Weise verstehen. Entweder kann man annehmen, daß die Inhaber der früheren Oberhofämter damals die größten Territorien besaßen, oder daß damals den mächtigsten Fürsten die Oberhofämter dauernd übertragen seien. Wenn aber auch diese höchsten Beamten durch besonderes Ansehen vielleicht sich vor den anderen auszeichneten, so wird doch kein Geschichtskundiger leugnen, daß außer jenen sieben noch andere bei der Königswahl mitgewirkt haben.
Andere schreiben die Einsetzung der Kurfürsten dem Kaiser Friedrich II. zu. Aber wir besitzen keine Spur einer darauf bezüglichen Verfügung dieses Kaisers, und es ist auch wenig wahrscheinlich, daß die übrigen Fürsten freiwillig und alle auf einmal ihr Wahlrecht aufgegeben haben sollten.
Unter diesen Umständen hat nun bei den Kennern der deutschen Geschichte die Ansicht das Uebergewicht erlangt, daß schon vor Friedrich II. jene sieben Fürsten als die höchsten Reichsbeamten und als die mächtigsten
Samuel von Pufendorf: Ueber die Verfassung des deutschen Reiches. Berlin: L. Heimann, 1870, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:%C3%9Cber_die_Verfassung_des_deutschen_Reiches.djvu/65&oldid=- (Version vom 1.8.2018)